Lenin for and Against the Bureaucracy Writings 1917 1923 Social Revolutionaries USSR

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Seller: xzy-blond1937 ✉️ (261) 100%, Location: Berlin, DE, Ships to: WORLDWIDE, Item: 266726811912 Lenin for and Against the Bureaucracy Writings 1917 1923 Social Revolutionaries USSR. Aus meiner Sammlung zu Rätekommunismus, Anarchismus, Sozialismus, revolutionäre Bewegung etc. stelle ich demnächst etliches ein, also einfach ab und zu wieder bei mir hereinschauen, wenn Interesse besteht (Jegliches hat sein Zeit .... hoffentlich) >>> Lenin: Für und widder die Bürokratie. Schriften und Briefe 1917-1923 <<< ent. u.a.: Rede über die Landfrage Ultimatum der Mehrheit des ZK der SDAPR(B) an die Minderheit Antwort auf eine Anfrage der Linken Sozialrevolutionäre An die Bevölkerung Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht Briefe an Tomski, Stalin, Swerdlow, Trotzki X. Parteitag der KPdSU Briefe Ich biete noch mehrere Titel aus der rororo-Reihe "Texte des Sozialismus und des Anarchismus" an, u.a. Lenin, Rosa Luxemburg, Die Frühsozialisten , Stalin, Otto Rühle, Kropotkin, Proudhon, Pariser Kommune, Eduard Bernstein, Die Rätebewegung, Gruppe International Kommunisten Hollands, Die russische Arbeiteroppostion Zustand: gebraucht, aber  gut, siehe Fotos *gebraucht = Diese Bücher waren Arbeitsmaterialien. Sie können Anstreichugnen, Besitzvermerke u.ä. enthalten. Ich merke das nicht in jedem Fall an und fotografiere es ggf. eher zufällig! Die Bücher auf dem letzten Foto sind nicht Teil dieses Angebotes! Versandkosten werden natürlich bei Kauf von mehreren Büchern zusammengefasst. Ab einem Warenwert von 20,00 Euro aber nur registrierter Versand (Hermes oder DHL)! Bei Versand an Packstationen muss DHL gewählt werden!

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Aus Wiki:

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Wladimir Iljitsch Lenin (russisch Владимир Ильич Ленин, wissenschaftliche Transliteration Vladimir Il’ič Lenin, eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow russisch Владимир Ильич Ульянов, wissenschaftliche Transliteration Ul’janov, anhören?/i; geboren am 10.jul. / 22. April 1870greg. in Simbirsk; gestorben am 21. Januar 1924 in Gorki bei Moskau) war ein russischer kommunistischer Politiker und Revolutionär sowie marxistischer Theoretiker, Vorsitzender der Bolschewiki (1903–1924), Regierungschef der Russischen SFSR (1917–1924) und der Sowjetunion (1922–1924), als deren Begründer er gilt.

Nachdem sein Bruder Alexander Uljanow 1887 wegen eines geplanten Attentats auf den Zaren hingerichtet worden war, schloss sich Lenin (so sein Kampfname) den marxistischen Sozialdemokraten an und widmete sich der Untergrundarbeit für eine kommunistische Revolution in Russland. Mehrmals musste er ins Exil emigrieren, die meiste Zeit in die Schweiz. Er gründete 1903 eine eigene Fraktion in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, die Bolschewiki, die spätere Kommunistische Partei Russlands.

Nachdem Anfang 1917 in Russland die Monarchie in einer bürgerlichen Revolution gestürzt worden war und die neue Regierung an Russlands Beteiligung am Ersten Weltkrieg festhalten wollte, eroberten die Bolschewiki unter Lenins Führung in der Oktoberrevolution die Macht. Sie lösten die verfassungsgebende Versammlung gewaltsam auf und schränkten die Meinungsfreiheit teilweise ein. Es gelang den Bolschewiken im nun folgenden Bürgerkrieg, den Großteil der Gebiete des ehemaligen Russischen Reiches unter ihre Kontrolle zu bringen und den Widerstand der Weißen Armeen und auch anderer gegnerischer Bürgerkriegsparteien militärisch und durch Einsatz des roten Terrors als Reaktion auf den weißen Terror zu brechen, trotz der materiellen Unterstützung der Weißen Armee durch zahlreiche ausländische Mächte und der zeitweiligen Besetzung russischer Gebiete durch andere Staaten. Gegen Ende des Krieges, 1922, gründeten die Bolschewiki die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken.

Zu dieser Zeit war Lenin bereits schwer krank. Nach seinem Tod 1924 wurde sein Leichnam einbalsamiert und in einem Mausoleum an der Mauer des Kremls ausgestellt. In der Folge stellte die Kommunistische Partei der Sowjetunion Lenins Bedeutung für die Sowjetunion und den Kommunismus Moskauer Prägung immer weiter heraus. Innerhalb der politischen Linken ist die Beurteilung der Rolle Lenins bis heute umstritten. Anschauungen, die in den Schriften Karl Marx’ ein geschlossenes Ideologiegebilde erkennen, betrachten Lenin als herausragenden Theoretiker, der dem Marxismus mit dem Leninismus eine maßgebliche Weiterentwicklung gab. Nach Lenins Tod, seit der Zeit des Stalinismus, wurde daraus die Ideologie des Marxismus-Leninismus konstruiert. Auf der anderen Seite stehen Verweise auf die schweren Menschenrechtsverletzungen, seinen Dogmatismus und antidemokratische Tendenzen, die mit modernen Sozialismuskonzepten nicht vereinbar seien. Eine große Rolle bei der Beurteilung der leninschen Theorie spielen die Fragen, ob sich der Kommunismus auch in einem industriell rückständigen Land entwickeln könne, und welche Rolle dabei einer Partei neuen Typus zukam.

Leben

Familie

Wladimir Iljitsch Lenin entstammte einer multiethnischen Familie. Mütterlicherseits hatte er deutsch-schwedische Wurzeln, dieser Familienzweig war im Mannesstamm jüdischer Religion. Sein Großvater Israel Blank gehörte als Landarzt der damals dünnen Schicht des Bürgertums an. Lenins Mutter Maria Alexandrowna Blank (1835–1916) hatte eine häusliche Bildung erhalten und 1863 das Examen als Lehrerin abgelegt, ohne berufstätig zu werden: Nach ihrer Heirat im selben Jahr widmete sie sich fortan der Familie.

Väterlicherseits stammte Lenin von Russen und Kalmücken ab,[1] die es in zwei Generationen von der Leibeigenschaft zum erblichen Adelsstand gebracht hatten. Sein Großvater aus diesem Familienzweig war ein befreiter Bauer, der sich als Schneider verdingte. Lenins Vater Ilja Nikolajewitsch Uljanow (1831–1886) hatte 1854 die Kasaner Universität absolviert. Er gab 1869 seine langjährige Tätigkeit als Mathematik- und Physiklehrer an höheren Schulen in Pensa und Nischni Nowgorod auf und wurde zunächst Inspektor, später Direktor von Volksschuleinrichtungen in Simbirsk. Vom Zaren wurde er 1882 in den erblichen Adelsstand erhoben.

Jugend

Lenin als Jugendlicher (ca. 1887)

Nach zaristischer Rangordnung war Lenin ein Dworjanin, ein Adliger, auch wenn erst der Vater in den Adelsstand erhoben worden war und die Familie nicht recht an die höhere Gesellschaft anschließen konnte. Sein Vater starb unerwartet im Januar 1886 an einer Hirnblutung.[2] Lenins älterer Bruder Alexander, Student an der Mathematisch-Physikalischen Fakultät an der Universität Sankt Petersburg, hatte sich einer revolutionären Gruppe angeschlossen, die den Zaren Alexander III. ermorden wollte.[3] Er wurde am 20. Mai 1887 hingerichtet. Die Familie wurde anschließend fast vollständig gemieden, lebte aber trotz des Todes des Vaters und des Stigmas der Hinrichtung in materiellem Wohlstand. Neben einer stattlichen Rente hatte sie Einkünfte aus dem Besitz eines Landguts, das noch zu Lebzeiten des Vaters aus der Mitgift der Mutter erworben worden war.[4]

Zusammen mit dem frühen Tod des Vaters prägte die Hinrichtung seines Bruders den jungen Lenin entscheidend. Sein Bruder wurde drei Tage nach dem Beginn der Abschlussprüfungen Lenins an der Schule gehängt. Lenin bestand diese trotzdem mit Auszeichnung.[2] Er studierte die Bücher, die Alexander hinterlassen hatte, vor allem die des verbannten Revolutionärs Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski, der für eine klassenlose Gesellschaft eintrat.[5] Lenin hatte viele intellektuelle Interessen wie Literatur und Altphilologie und wurde auch ein guter Schachspieler.[6]

Lenin konnte nicht in Sankt Petersburg studieren und ging daher für das Studium der Rechtswissenschaft an die Universität Kasan. Schon in seinem ersten Jahr beteiligte Lenin sich an einem Studentenprotest und wurde am 6. Dezember 1887 zusammen mit 38 anderen Studenten von der Universität verwiesen.[7] Lenin nahm bei diesem Treffen keine führende Rolle ein. Seine Bestrafung durch die Behörden beruhte vor allem auf der Geschichte seines Bruders. Der Vater des späteren Ministerpräsidenten der Provisorischen Regierung Alexander Kerenski, Fjodor Kerenski, der Lenin am Gymnasium unterrichtet hatte und ihn als Musterschüler beschrieb, setzte sich vergeblich für die Aufhebung des Urteils ein.[8]

Bei Samara bezog die Familie im Mai 1889 ein Gut, das sie mit ihrem Kapital erworben hatte; bald darauf aber verpachtete sie es. Lenin erwies sich als ungeeignet zum Gutsverwalter und gab sich auch keine Mühe.[9] Entgegen einer später weitverbreiteten Behauptung hat er keine Kontakte zu Bauernfamilien gehabt, sein Wissen über das Bauerntum stammte vielmehr aus Büchern wie denen von Gleb Uspenski. Dieser äußerte sich negativ über die russischen Bauern, denen er Trunksucht, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit unterstellte.

Lenin lebte vom Vermögen der Familie, unternahm lange Wanderungen, gab den jüngeren Geschwistern Nachhilfe, las politische Literatur und setzte sein Jurastudium als Autodidakt fort.[10] Er durfte 1891 die Prüfungen als Externer abschließen, was ihm auch als Bester in allen Fächern gelang. Die spätere Propaganda verschwieg, dass auch Kirchen- und Polizeirecht dazu gehörte. Am 30. Januar 1892 nahm Lenin eine Tätigkeit als Rechtsanwaltsgehilfe auf.[11] Er betätigte sich in einigen wenigen Fällen als Strafverteidiger und nahm zwei persönliche Fälle an. Einmal gegen Bauern, die ihr Vieh unberechtigterweise auf dem Anwesen seiner Familie hatten weiden lassen. Ein anderes Mal klagte er gegen einen ehemaligen französischen Adligen, der ihn bei einem Besuch in Paris mit seinem Auto angefahren hatte.[12]

Beginn der politischen Tätigkeit

Im Dezember 1895 von der Geheimpolizei Ochrana angelegte Karteikarte über Lenin

Lenin beschäftigte sich bereits in jungen Jahren mit verschiedenen politischen Theorien. Einerseits setzte er sich kritisch mit den russischen „Bauernsozialisten“ oder „Volkstümlern“ (den Narodniki), welche eine eigene Variante des Sozialismus propagierten, und andererseits mit den Thesen von Karl Marx, die er bereits theoretisch interpretierte, auseinander. Lenin hielt Russland zu diesem Zeitpunkt für wirtschaftlich und sozial fortgeschrittener als es tatsächlich war, sodass er an eine baldige proletarische Revolution glaubte. Andere Revolutionäre fanden, Lenins Marxismus setze noch zu sehr auf die terroristischen Aspekte der Narodniki, so wiederholte Lenin den Satz von Sergej Netschajew, „das ganze Haus Romanow“ müsse getötet werden.[13]

1891 verurteilte Lenin die Hilfsaktionen der gebildeten Schicht anlässlich der Hungersnot in der Provinz Samara, in der er als Anwalt tätig war. Er wertete die Hungersnot als Schritt in Richtung Sozialismus, da sie den Glauben an Gott und den Zaren zerstöre.[14] Vom Pächter seines eigenen Landgutes forderte er die volle vereinbarte Summe, der wiederum die Bauern trotz der Hungersnot voll zahlen ließ.[15]

1893 zog er nach Sankt Petersburg. Dort studierte er die Theorien von Georgi Plechanow, dem er später in der Schweiz auch selber begegnete. Nach einer mehrmonatigen Europareise durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz gründete er den „Bund für die Befreiung der Arbeiterklasse“ („Союз борьбы за освобождение рабочего класса“). In Deutschland weilte Lenin längere Zeit in Berlin, wo er Literaturstudien an der Königlichen Bibliothek betrieb. Als Lenin im Herbst 1895 nach Russland zurückgekommen war, nahm er seine agitatorische Tätigkeit wieder auf.

Während der Vorbereitung einer illegalen Zeitung Die Sache der Arbeiter wurde er im Dezember 1895 verhaftet (Anklage: Agitation).[16] Im Untersuchungsgefängnis richtete er sich eine Bibliothek in seinem „Studierzimmer“ ein und verbrachte dort 14 Monate. 1897 wurde er im Februar für drei Jahre nach Schuschenskoje in Südsibirien verbannt, wo er unter Polizeiaufsicht leben musste. In Ufa traf er auch wieder Nadeschda Krupskaja, die er 1898 in der Verbannung heiratete.

Sofort nach der Rückkehr aus der Verbannung im Februar 1900 suchte Lenin in Pskow nach einer Möglichkeit, eine von der Zensur unabhängige Zeitung herauszubringen. In Russland war das nicht möglich, und so ging er am 29. Juli 1900 für über fünf Jahre ins Ausland. Nach einem kürzeren Aufenthalt in Genf, wo er sich mit Plechanow über die Herausgabe der Zeitung Iskra („Der Funke“) einigte, ließ sich Lenin bei dem sozialdemokratischen Gastwirt Rittmeyer in der Kaiserstraße 53 (heute 46) im Münchner Stadtteil Schwabing illegal nieder. Er meldete sich unter der Adresse nicht offiziell an und nannte sich „Mayer“. 1901 zog Lenin in die nahe gelegene Siegfriedstraße 14 in Schwabing um. Im Jahr 1901 erschien die von ihm mit herausgegebene Zeitung Sarja („Morgenröte“).

Konzeption einer Kaderpartei

1902 veröffentlichte er in der bayerischen Landeshauptstadt die programmatische Schrift Was tun?, unter dem Decknamen „N. Lenin“. Sie machte ihn unter den Revolutionären bekannt, polarisierte aber auch stark. Denn darin entwarf er das Konzept einer geheim agierenden, disziplinierten und zentralisierten Arbeiterpartei, bestehend aus Berufsrevolutionären. Die Partei sollte in ideologischen und strategischen Fragen geeint auftreten und die Masse der Bevölkerung auf dem Weg zur Revolution anführen.[17] Die Notwendigkeit einer solchen konspirativen Organisation begründete Lenin damit, dass im autokratischen Zarenreich keine andere Partei erfolgreich einen Umsturz einleiten könne. Er orientierte sich dabei auch an den Vorbildern der Narodniki aus dem vorigen Jahrhundert, die ebensolche Methoden der politischen Arbeit angewandt hätten. Lenin wandte sich in seiner Schrift explizit gegen die liberalere Linke, die eine Veränderung durch basisdemokratische Organisation und Gewerkschaften erwirken wollte.[18]

Die Idee der Partei als straff geführte Geheimorganisation war bei den Organisationsbereiten unter Russlands Linken nicht strittig, und Lenin bemühte sich mit Zitaten von Marx und anderen, die Forderungen marxistisch zu begründen. Manch russischen Marxisten empörte es, dass Lenin dabei terroristische Bauernführer und den „Massenterror“ von Pjotr Tkatschow lobte. Lenins Betonung der konspirativnost konnte als Aufruf zu Verschwörungen interpretiert werden.[17] Später wurde Lenins Organisationsmodell als „Demokratischer Zentralismus“ bekannt.

Siehe auch: Leninismus

Deckname

Ab Dezember 1900 verwendete er den Kampfnamen beziehungsweise das Pseudonym „Lenin“. So gab er seine Schrift Was tun? unter dem Pseudonym N. Lenin heraus. Es gibt keine schlüssige oder gesicherte Erklärung bezüglich der Herkunft des Pseudonyms. Eine Erklärung besagt, dass er sich dabei auf den sibirischen Strom Lena bezog (Lenin bedeutet russisch: „Der vom Fluss Lena Stammende“) – nach Sibirien verbannt zu werden, bedeutete damals praktisch, dass man im Russischen Kaiserreich als anerkannter Oppositioneller galt. Eine andere Erklärung besagt, dass er mehr an sein Kindermädchen Lena dachte, und dass er bereits als kleiner Junge auf die Frage, „wessen [Kind] er sei“ zu antworten pflegte: „Lenin!“ (deutsch: „Lenas!“).

Lenin hatte mehrere Decknamen, beispielsweise lebte er in Schwabing als Iordan K. Iordanov und andernorts in München unter dem Namen Mayer.[19] Vor diesem Hintergrund wirkt die Wahl des Pseudonyms eher zufällig.[20]

Parteispaltung und Aufbau der neuen Kaderpartei

Spiegelgasse 14 in Zürich: Eine Gedenktafel am mittleren Haus erinnert an Lenins Aufenthalt.

Lenin betrieb den Aufbau einer streng organisierten Kaderpartei aus „Berufsrevolutionären“ und wurde wegen seiner – von der Illegalität erzwungenen, aber auch vom russischen revolutionären Terrorismus inspirierten – Rigorosität und wegen seiner radikalen theoretischen Positionen der am meisten beachtete linke Sozialdemokrat.

Die Ansichten und Absichten Lenins führten 1903 auf dem zweiten Parteitag (in London) zur faktischen Spaltung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR). Lenin hatte erfolgreich seine Anhänger in das Organisationskomitee platziert.[21] Unterstützt von Plechanow und durch den Auszug der reformorientierten „Ökonomisten“ und der jüdischen Delegierten vom „Bund“ gelang es Lenin, seine Hauptforderungen in das Parteiprogramm und das Statut zu bringen, unter anderem die Betonung der „Diktatur des Proletariats“.[22] Seine Forderung, die Parteimitglieder neben materieller Unterstützung auch zu persönlicher Mitarbeit zu verpflichten, wurde jedoch von der Gruppe um Julius Martow abgelehnt. Lenin nannte aufgrund der Abstimmungsmehrheit seine Gruppe Bolschewiki (vom russischen Wort für „Mehrheit“) und die Gemäßigten Menschewiki („Minderheit“).

1905 brach eine Russische Revolution aus, während das Land sich im Krieg mit Japan befand. Für Lenin stand nicht der innenpolitische Kampf gegen die Regierung, sondern der Kampf gegen die Menschewiki im Vordergrund, während er außenpolitisch für Japan Partei ergriff. So sollte er auch später im Weltkrieg die Feinde des zaristischen Russlands unterstützen. Diese Haltungen Lenins haben bei anderen Parteimitgliedern nicht nur Verständnis gefunden; einige von Lenins engsten Mitarbeitern wollten einen dritten Parteitag vorbereiten und dort die Versöhnung beider Lager bewirken. Einen schroffen Brief an die Bolschewiki, der ihn vollkommen isoliert hätte, schwächte er in einem späteren Entwurf ab. Trotzdem dürften sie sich über Lenins Realitätsferne gewundert haben, schreibt der Historiker Robert Service.[23]

In dieser Zeit nahm Lenin auch den Rätegedanken auf, während viele Bolschewiken noch einer Verschwörung im Geheimen den Vorzug gaben.[24] Nach dem Moskauer Aufstandsversuch der Bolschewisten im Dezember 1905 war Lenin skeptisch, was Aufstände anging, die SDAPR solle sich besser in die Duma wählen lassen, die neue Volksvertretung. Er befürwortete damals noch die Zusammenarbeit mit den Menschewiki, die ein Gegengewicht zu den Ungeduldigen bei den Bolschewisten bilden sollten.[25]

Im Januar 1907 floh Lenin vor der russischen Geheimpolizei nach Finnland, im November nach Helsinki,[26] ein Jahr später zog er nach Genf. Im Sommer 1911 hielten Lenin und andere Bolschewiki, darunter Lew Borissowitsch Kamenew und Grigori Jewsejewitsch Sinowjew, in Longjumeau bei Paris Vorträge zur Theorie und Praxis des Sozialismus.[27] Zu diesen Schulungen entsandte die SDAPR ausgewählte Kader, unter anderem Grigori Konstantinowitsch Ordschonikidse.[28]

Bis 1912 wurden die Unterschiede zwischen den beiden Lagern immer größer, weswegen bei der sechsten Gesamtrussischen Parteikonferenz in Prag die Menschewiki ausgeschlossen wurden. Sie bildeten daraufhin eine eigene Partei, während die SDAPR nun die Erweiterung (Bolschewiki) trug. Erst 1918 nannten die Bolschewisten ihre Partei in Kommunistische Partei Russlands (B) um.

Die Parteispaltung war von der zaristischen Geheimpolizei gefördert worden; Lenins enger Mitarbeiter Roman Malinowski spionierte für sie.[29] Mitglieder der Bolschewiki verdächtigten Malinowski als Spion, nachdem einige Parteimitglieder verhaftet worden waren. Lenin tat diese Vorwürfe im Rahmen einer partei-internen Untersuchung mit Verweis auf dessen Herkunft aus einer Arbeiterfamilie ab.[30]

Im April 1912 gab Lenin zum ersten Mal die Prawda heraus. In der Folgezeit widmete er sich im Schweizer Exil[31] wieder marxistischen Studien, es entstand vor allem seine Schrift Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (Januar bis Juni 1916), die die Grundlage der marxistischen Theorie des Imperialismus sowie der darauf basierenden Stamokap-Theorie bildete. Dieses Werk vollendete er in der Altstadt von Zürich an der Spiegelgasse 14, wohin er mit Nadeschda Konstantinowna Krupskaja im Februar 1916 umziehen durfte, nachdem er ein entsprechendes Ersuchen mit dem Wunsch nach Nutzung der dortigen Zentralbibliothek begründet hatte.[32][33][34]

Erster Weltkrieg und Unterstützung durch das Deutsche Reich

Schreiben der Berner Behörden betreffend Lenins Aufenthaltsbewilligung, Oktober 1914

Der Beginn des Ersten Weltkrieges überraschte Lenin im österreichischen Galizien, wo er die Sommermonate in Poronin verbrachte, einem Dorf an der Eisenbahnstrecke von Krakau nach Zakopane. Hier traf er regelmäßig mit Bolschewiki, die in Russland tätig waren, und Mitgliedern des Zentralkomitees der Partei zusammen. Mit der prinzipiellen Möglichkeit eines Krieges zwischen den europäischen Großmächten hatte Lenin seit 1907 gerechnet, als er die Antikriegsresolution des Stuttgarter Sozialistenkongresses maßgeblich beeinflusste. Einen österreichisch-russischen Krieg hatte er aber noch 1913 in einem Brief an Maxim Gorki für unwahrscheinlich gehalten:[35]

    „Ein Krieg zwischen Österreich und Rußland wäre für die Revolution (in ganz Osteuropa) sehr nützlich, aber es ist kaum anzunehmen, daß uns Franz Joseph und unser Freund Nikolaus dieses Vergnügen bereiten.“

Als „feindlicher Ausländer“ in unmittelbarer Nähe des Hauptkriegsschauplatzes erregte Lenin den Verdacht der österreichischen Behörden. Am 8. August 1914 wurde er verhaftet und für elf Tage im Gefängnis von Nowy Targ festgehalten. Nach einer Intervention Viktor Adlers kam er frei und konnte mit seiner Frau in die Schweiz ausreisen, wo er Ende August 1914 eintraf.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Lenin bereits die Grundzüge einer neuen politischen Linie ausgearbeitet, die für ihn bis 1917 maßgebend blieb. Den Übergang beinahe aller sozialistischen Parteien auf die Position der „Vaterlandsverteidigung“ wertete er als irreparablen Zusammenbruch der II. Internationale. Insbesondere die Bewilligung der Kriegskredite durch die Reichstagsfraktion der SPD hatte Lenin, der den Respekt vieler europäischer Sozialisten vor der deutschen Sozialdemokratie trotz einiger Vorbehalte geteilt hatte, überrascht und bestürzt. Der „Vaterlandsverteidigung“ setzte er nun die Losung des „revolutionären Defätismus“ entgegen. Kriterium und Ziel einer sozialistischen Politik sei die Herbeiführung der Niederlage der „eigenen“ Regierung und die – so die berühmte Formulierung aus der Resolution des Zentralkomitees Der Krieg und die russische Sozialdemokratie vom Oktober 1914 – „Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg“. Dieses radikale Programm war auch bei den Vertretern oppositioneller Minderheiten der europäischen sozialistischen Parteien, die sich im September 1915 in Zimmerwald und im April 1916 in Kiental trafen, nicht vollständig durchsetzbar.

Infolge ihrer wiederholten Aufrufe an die russischen Arbeiter, nicht gegen die Deutschen, sondern gegen die eigene Regierung zu kämpfen, wurden die Bolschewiki in Russland im Herbst 1914 in die Illegalität gedrängt und in den folgenden Jahren von der Ochrana gnadenlos verfolgt.[36] Am 8. August 1914 hatte die bolschewistische Duma-Fraktion gegen die Kriegskredite gestimmt und war aus dem Saal ausgezogen. Im November 1914 wurden fünf Abgeordnete verhaftet und bald darauf nach Sibirien deportiert.[37] Als die Partei nach der Februarrevolution wieder offen auftreten konnte, war sie auf etwa 24.000 Mitglieder zusammengeschmolzen.

Rückkehr aus dem Schweizer Exil nach Russland

→ Hauptartikel: Reise Lenins im plombierten Wagen

Reiseroute

Die etwa 600 russischen politischen Emigranten in der Schweiz suchten im Frühjahr 1917 nach einer Möglichkeit, nach Russland zurückzukehren. Eine Ausreise über das Territorium der russischen Alliierten Frankreich und Italien erwies sich als unmöglich. Lenin entwickelte abenteuerliche Pläne, um in Verkleidung oder mit einem Flugzeug nach Russland zu gelangen. Der Menschewik Julius Martow schlug schließlich vor, die deutsche Regierung um eine Transiterlaubnis zu bitten. Nach Verhandlungen Robert Grimms und Fritz Plattens mit dem deutschen Gesandten in Bern, Gisbert von Romberg, lag deren Einwilligung bald vor. Die Federführung auf deutscher Seite hatte in dieser Angelegenheit das Auswärtige Amt und nicht – wie häufig angenommen – die Oberste Heeresleitung. Unter den 33 Reisenden, die am 9. April 1917 in zwei D-Zug-Wagen am Grenzübergang Gottmadingen aufbrachen und am Abend des 11. April in Sassnitz eintrafen, waren 19 Bolschewiki – neben Lenin auch Karl Radek, Grigori Sinowjew, Lenins Frau Nadeschda Krupskaja und seine Geliebte Inessa Armand. Bis zum Juni 1917 fanden noch weitere Transporte dieser Art statt. Insgesamt durchquerten auf diese Weise mehr als 400 russische Emigranten unterschiedlicher politischer Richtungen deutsches Gebiet.[38]

Lenin wusste um die potentiell kompromittierenden Begleitumstände dieser Reise und hatte darauf bestanden, dass ausschließlich Platten – vor und während der Zugfahrt – direkt mit deutschen Vertretern unterhandelte. Auch die Erklärung der von den Emigranten belegten Abteile als „exterritorial“ war seine Idee.[39] Sein Vertrauensmann Platten ging auf die Versuche Rombergs, politische Absprachen über eine zukünftige Friedensregelung anzuregen, nicht ein.[40] Das Zusammentreffen mit einem hohen deutschen Gewerkschaftsfunktionär, der in Stuttgart zugestiegen war, lehnten die Bolschewiki ab. Gegenüber den beiden deutschen Offizieren, die den Transport begleiteten, wahrten die Reisenden eine „verbissene Zurückhaltung“.[41]

Trotz dieser Vorsicht provozierte die Art und Weise der Rückkehr Lenins – und mehr noch die von ihm danach verfolgte Politik – bereits 1917 den Verdacht, er handele im Auftrag und mit finanzieller Unterstützung der Deutschen. Schon bei Lenins Eintreffen in Petrograd am 16. April brachte die konservative Presse der russischen Hauptstadt diesen Vorwurf ins Spiel.[42] Während der Julikrise setzte die provisorische Regierung in großem Stil Gerüchte in Umlauf, Lenin stünde im Sold der Deutschen.[43] Eine amerikanische Regierungsbehörde veröffentlichte 1918 die gefälschten Sisson-Dokumente, um eine „German-Bolshevik Conspiracy“[44] zu belegen. Der deutsche Sozialdemokrat Eduard Bernstein sprach im Januar 1921 in einer Artikelserie im Vorwärts als erster von „sicher mehr als 50 Millionen Goldmark“, die 1917 direkt an die Bolschewiki geflossen seien. Als Quelle für diese Behauptung nannte er in einem Privatbrief „unbedingt glaubwürdige Personen von Weltruf“.[45]

Durch Quellen gesichert ist, dass die deutsche Regierung in den Kriegsjahren Mittel für unterschiedlichste revolutionäre und nationalistische Gruppen in Osteuropa zur Verfügung stellte. Bis heute umstritten ist dagegen, in welchem Umfang die Bolschewiki davon profitierten. Während einzelne Forscher von geringen Beträgen ausgehen, die zudem nie Russland erreicht hätten[46] oder für die politische Entwicklung im Sommer und Herbst 1917 völlig bedeutungslos gewesen seien,[47] sprechen andere von „Millionen von Mark“, mit denen 1917 insbesondere die Presse der Partei massiv ausgebaut worden sei.[48] Die weitergehende Behauptung, deutsche Stellen hätten einen direkten Einfluss auf die politische Linie der Bolschewiki gehabt oder Lenin sei gar selbst ein „deutscher Agent“ gewesen, wird in der wissenschaftlichen Publizistik bereits seit Jahrzehnten zurückgewiesen. Der amerikanische Historiker Rex A. Wade nennt diese These einen „Mythos“ und die „langlebigste der vielen Verschwörungstheorien des Jahres 1917“.[49]

Revolutionsphase 1917 bis 1918

Agitation gegen die provisorische Regierung

Lenin hält im Taurischen Palais in Petrograd die Rede vor dem Petrograder Sowjet, die später den Kern der „Aprilthesen“ bilden wird. (4. Apriljul. / 17. April 1917greg.)

In der zweiten Aprilhälfte 1917 erreichte Lenin mit einigen seiner Genossen den Finnischen Bahnhof in Petrograd und propagierte die Revolution zur Machtergreifung der Arbeiter, Bauern und Soldaten. In seinen Aprilthesen forderte er – zur Überraschung seiner Anhängerschaft – den Sturz der als kapitalistisch denunzierten provisorischen Regierung, die die in Russland gebliebenen Sozialisten bislang unterstützt hatten, getreu der marxschen Doktrin, wonach vor der proletarischen erst eine bürgerliche Revolution stattfinden müsse. Lenin verlangte stattdessen, die sozialistische Revolution so rasch wie möglich einzuleiten.[50]

Lenin stellte sich damit gegen die provisorische Regierung unter Kerenski, den er öffentlich als „Dummkopf“[51] schmähte. Bereits am 4. Juni verkündete Lenin im Rahmen des 1. Allrussischen Sowjetkongresses die Ambition der Bolschewiki, die Macht im Land zu übernehmen. Seine Forderungen nach einer Verteilung des Landes an die Bauern ohne Entschädigung und nach der Enteignung der reichsten Bevölkerungsschicht wurden rasch populär. Während der Kerenski-Offensive agitierten die Bolschewiki in der russischen Armee gegen die Weiterführung des Krieges, auch wenn Lenin einen Separatfrieden noch öffentlich ablehnte.[52] Als sich das Scheitern der Angriffsoperationen abzeichnete, warf Lenin der Provisorischen Regierung vor, Tausende Menschen in ein blutiges Gemetzel getrieben zu haben.[53] Im Juli versuchte Lenin den Prestigeverlust der Regierung für die Ziele der Bolschewiki auszunutzen. In der Hauptstadt Petrograd forderte die Partei zu Massendemonstrationen auf. Diese führten aber nicht zum Umsturz, sondern schlugen sich nur in chaotischen bewaffneten Auseinandersetzungen und Plünderungen nieder. Lenin stellte fest, dass ein Aufstand besser organisiert werden müsse, um effektiv zu sein[54] – er selbst befand sich zu Beginn der Demonstrationen nicht in der Hauptstadt, sondern zur Erholung in Finnland.[55] Die Provisorische Regierung setzte Militär ein und brachte die Stadt so wieder zur Ruhe.[54] Zudem wurde ein Gerichtsverfahren wegen Hochverrats anberaumt. Die Partei der Bolschewiki und ihr Hauptpresseorgan, die Prawda, wurden offiziell von der Regierung Kerenski verboten. Der Partei gelang es allerdings durch eine Namensänderung der Partei sowie der Prawda, weitgehend ihre Aktivitäten aufrechtzuerhalten.[56] Lenin fürchtete nach diesem Scheitern die Todesstrafe, falls er sich der Anklage stellen würde, und begab sich in den Untergrund.[54] Lenin nahm nach den Maßnahmen der Regierung gegen die Bolschewiki einen Strategiewechsel vor, den er selbst wie folgt zusammenfasste: „Alle Hoffnungen auf eine friedliche Entwicklung der russischen Revolution sind nutzlos verschwunden. Dies ist die objektive Situation: Entweder vollständiger Sieg der Militärdiktatur oder der Sieg für den bewaffneten Aufstand der Arbeiter.“[57] Er drängte somit auf einen bewaffneten Aufstand.

Übernahme und Konsolidierung der Macht

→ Hauptartikel: Oktoberrevolution

Lenin in der Loge des Taurischen Palais in Petrograd während der Sitzung der Russischen konstituierenden Versammlung (5. Januarjul. / 18. Januar 1918greg.)

Nach weiteren militärischen Fehlschlägen der gemäßigt sozialistisch-liberalen „Provisorischen revolutionären Regierung“ unter Ministerpräsident Alexander Kerenski gelang es den Bolschewiki und den neu gegründeten Sowjets im November 1917 (nach dem in Russland noch geltenden julianischen Kalender im Oktober), die bürgerliche Regierung zu stürzen (Oktoberrevolution). Leo Trotzki, Lenins Vertrauter, organisierte am 25. Oktober den Aufstand, der auf wenig Gegenwehr stieß. Bei diesem Auftakt zur Oktoberrevolution wurden sechs Menschen getötet. Am 8. November 1917 tagte in Petrograd auch der 2. Allrussische Sowjetkongress. Die Bolschewiki besaßen in diesem zentralen Arbeiter- und Soldatenrat zunächst keine Mehrheit. Aus Protest gegen das Vorgehen der Bolschewiki verließen jedoch viele Abgeordnete, darunter die Menschewiki, den Sitzungssaal und überließen den Bolschewiki das Feld. Lenin wurde über Nacht als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der Regierungschef Russlands. „Ein steiler Aufstieg aus dem Keller an die Macht“, sagte er, „mir dreht sich der Kopf“.

Auf dem II. Sowjetkongress legte Lenin noch dar, dass seine Regierung die Russische konstituierende Versammlung respektieren werde und sich lediglich als Provisorium bis zu deren Wahl verstehe. Die Wahl lief demokratisch und ohne Zwischenfälle ab. Sie brachte den Bolschewiki aber eine empfindliche Niederlage ein, da die Mehrheit der Stimmen an die Sozialrevolutionäre ging und Lenins Partei nur rund ein Viertel der Sitze gewann. Legal war eine Machtübernahme damit unmöglich. Daraufhin ließ Lenin, der bereits zuvor die Legitimation der Versammlung kritisiert hatte, sie am Tag nach der Wahl gewaltsam auflösen. In Petrograd kam es daraufhin zu Demonstrationen und gewalttätigen Zusammenstößen, in deren Verlauf mehrere Menschen zu Tode kamen.[58]

Der sofortige Friedensschluss, die Verteilung des Bodens an die Bauern und die Übernahme der Fabriken durch die Arbeiter waren die unmittelbar wirkenden Losungen. Die Partei etablierte unter Lenins Vorsitz den Rat der Volkskommissare als bolschewistische Regierung. Im Februar 1918 entstanden zu ihrer Unterstützung die Rote Armee unter der Führung von Leo Trotzki und die Geheimpolizei Tscheka unter Felix Dserschinski.

Am 3. März 1918 beendete das Abkommen von Brest-Litowsk den Krieg mit Deutschland unter massiven Gebietsverlusten für Russland. Innerhalb seiner eigenen Partei hatte Lenin große Schwierigkeiten, die Zustimmung zu diesem deutschen Diktat durchzusetzen. Seine Regierungskoalition mit den Linken Sozialrevolutionären zerbrach daran. Der Bürgerkrieg wurde durch Brest-Litowsk eher befeuert als gebremst, eine Atempause erhielt das junge Sowjetregime dadurch nicht. Der deutsche Historiker Gerd Koenen vermutet, dass es Lenin in erster Linie darauf ankam, den Weltkrieg zwischen Deutschland und den Ententemächten zu verlängern, weil er sich davon die Weltrevolution erhoffte. In seiner Schrift Über „linke“ Kinderei und Kleinbürgerlichkeit erklärte er daher, es komme darauf an „abzuwarten, bis das Ringen der Imperialisten gegeneinander diese noch mehr schwächt“.[59]

Attentat und Krankheiten

Am 30. August 1918 wurde Lenin bei einem Attentat durch zwei Schüsse verletzt. Die Projektile trafen ihn in Schulter und Hals. Als Attentäterin verhaftete man kurz darauf Fanny Kaplan, eine Anhängerin der Sozialrevolutionäre, die Lenin wegen der gewaltsamen Auflösung der konstituierenden Versammlung für einen „Verräter an der Revolution“ hielt. Nach einem Verhör durch die Tscheka wurde sie ohne ein Gerichtsverfahren exekutiert. Von den Folgen des Attentats erholte sich Lenin zeit seines Lebens nicht mehr.

Erst 1922 wurde die Kugel im Hals operativ entfernt, nachdem ein deutscher Arzt urteilte, Lenins Kopfschmerzen seien vom Blei verursacht, das das Gehirn vergifte. Bei den Untersuchungen dieser Zeit wurden folgende Leiden festgestellt: Augenprobleme, Magenbeschwerden, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Wundrose und Durchblutungsstörungen im Gehirn. Einem Neuropathologen hatte Lenin zudem berichtet, an – nicht näher erläuterten – Zwangsvorstellungen zu leiden.[60]

Einen Monat nach der Operation erlitt Lenin am 25. Mai 1922 einen schweren Schlaganfall, nach mehreren kleineren zuvor; zwei weitere schwere folgten noch. Der Schlaganfall lähmte Lenin rechtsseitig, erschwerte das Sprechen, verwirrte den Geist und machte eine Genesung fraglich. Mehrfach wurden Georg Klemperer und sein Bruder Felix Klemperer aus Berlin zur Konsultation nach Moskau gerufen.[61][62][63] Die Ärzte diskutierten mehrere Möglichkeiten für die Grundursache von Lenins Beschwerden, ohne Einigkeit zu erzielen: Syphilis, Neurasthenie, Arterienverkalkung (wie schon bei Lenins Vater) oder auch die Folgen der Operation. Lenin dachte an Selbstmord und bat Stalin um Gift.[64] Nach einer 2004 erschienenen Studie soll Lenin an einer langjährigen Neurosyphilis gelitten haben.[65]

Zeit des Bürgerkrieges von 1918 bis 1922

Lenin inspiziert auf dem Roten Platz in Moskau zusammen mit Kommandeuren allgemeine Truppen der Roten Armee (25. Mai 1919)

Wie lange der 1918 beginnende Bürgerkrieg dauerte, ist umstritten. Die letzten Kampfhandlungen endeten 1922 im asiatischen Teil Russlands, während sie in Kerngebieten des Reiches bereits 1920 abgeklungen waren. Geprägt war der Bürgerkrieg von den Konfliktparteien der Weißen, der Roten und mit den sogenannten Grünen auch durch Kampfhandlungen der ländlichen Bevölkerung gegen rote und weiße Truppen. Nationale Erhebungen und anarchistische Strömungen spielten gleichfalls eine Rolle. Um den Krieg zu gewinnen, griff die bolschewistische Partei zu Maßnahmen des Kriegskommunismus und setzte sich militärisch erfolgreich durch.

Lenin war in diesen Jahren trotz vieler offen ausgetragener Meinungsunterschiede die unumstrittene Führungspersönlichkeit der Partei und der Regierung und wurde auch als die höchste Autorität der 1919 entstehenden dritten „Kommunistischen Internationale“ (Komintern) angesehen.

Wirtschaftspolitische Grundentscheidungen

Bereits kurz nach der Oktoberrevolution versuchte Lenin, die russische Wirtschaft per Dekret in eine zentrale Planwirtschaft umzuwandeln. Als Erstes wurden bis Anfang 1918 die Banken verstaatlicht. Gemäß dem Parteiprogramm der Bolschewiki sollte das Geld als Zahlungsmittel komplett abgeschafft werden. Da das Geld nicht per Dekret abgeschafft werden konnte, ließ die Regierung durch zusätzliches Gelddrucken bis 1922 eine Hyperinflation herbeiführen, die alle umlaufenden Geldmittel entwertete. Lenin beauftragte 1918 den Journalisten Jurij Larin damit, eine zentrale Planungsinstanz für die Verstaatlichung der Industrie zu schaffen. Hieraus ging der Oberste Wirtschaftsrat hervor, der die Enteignung der privaten Unternehmen umsetzte, deren Eigentümer (wenn sie nicht bereits ins Ausland geflohen waren) in der Regel ihre Betriebe entschädigungslos abtreten mussten. Das Firmenvermögen wurde vom Staat eingezogen.

Alphabetisierung und Bildungspolitik

Neben diesem Umbau in der Wirtschaft führte Lenin auch Reformen im Bildungswesen durch. Die Alphabetisierung des Landes wurde von ihm energisch vorangetrieben. Im Dezember 1919 schuf er per Dekret verpflichtende Unterrichtskurse für Analphabeten. Im Sommer 1920 wurde die Einrichtung eines Netzes von Kleinstbibliotheken geschaffen, das jedem den Zugang zu Büchern sichern sollte. Auf der Ebene der Hochschulbildung öffnete Lenins Regierung den Zugang für ärmere Bevölkerungsschichten und schaffte das mehrgliedrige Schulsystem ab. 1919 wurden auch die Arbeiterfakultäten eingeführt, die auch Erwachsenen, denen ein Studium nicht möglich gewesen war, den Zugang zu universitärer Bildung öffneten.[66]

Beginn des Bürgerkrieges

Gegen die bolschewistische Regierung formierte sich in vielen Landesteilen Widerstand. Um ihre Macht zu sichern und den Widerstand zu brechen, setzte die Regierung die vom Volkskommissar für Kriegswesen Leo Trotzki im Jahre 1918 aufgestellte Rote Armee ein. So entwickelte sich ein Bürgerkrieg, in den sich die USA, Großbritannien und zahlreiche andere Staaten durch die massive Unterstützung der Weißen Truppen einmischten. Dieser Bürgerkrieg war durch große militärische Härte (siehe dazu auch Roter Terror, Weißer Terror) geprägt und dauerte bis zur Niederlage der Weißen Truppen Ende 1921 an.

Lenin selbst beschränkte sich während des Bürgerkriegs weitgehend auf die politische Führung des Sowjetstaates. Nach seiner eigenen Aussage war es für ihn zu spät, sich militärische Kenntnisse anzueignen. Er begnügte sich damit, die grobe Strategie zu bestimmen, in die Planung der militärischen Operationen mischte er sich dagegen kaum ein. Auf Besuche an der Front verzichtete er während des gesamten Krieges.[67]

Beginn von Terror und Gegenterror

Flagge Sowjetrusslands (1918–1925)

Im Rahmen seiner Weisungsbefugnis als Staatschef regte er allerdings an, Geiseln unter Zivilisten und Angehörigen von Offiziersfamilien nehmen zu lassen, da er Hochverrat unter den im alten Regime ausgebildeten Offizieren fürchtete.[68] Lenin förderte und verlangte als Staatschef den Roten Terror im Bürgerkrieg. So ordnete er am 9. August 1918 in einem Schreiben an die Behörden von Nischni Nowgorod an: „Organisiert umgehend Massenterror, erschießt und deportiert die Hundertschaften von Prostituierten, die die Soldaten in Trunkenbolde verwandeln, genauso wie frühere Offiziere, etc.“[69] Am selben Tag ordnete er gegenüber den Behörden von Pensa die Einrichtung eines Konzentrationslagers an.[70] Lenin schrieb 1918:

    „Die englischen Bourgeois haben ihr 1649, die Franzosen ihr 1793 vergessen. Der Terror war gerecht und berechtigt, als die Bourgeoisie ihn zu ihren Gunsten gegen die Feudalherren anwandte. Der Terror wurde ungeheuerlich und verbrecherisch, als sich die Arbeiter und armen Bauern erdreisteten, ihn gegen die Bourgeoisie anzuwenden. Der Terror war gerecht und berechtigt, als er angewandt wurde, um eine ausbeutende Minderheit durch eine andere ausbeutende Minderheit zu ersetzen. Der Terror wurde ungeheuerlich und verbrecherisch, als man daran ging, ihn dazu anzuwenden, JEDE ausbeutende Minderheit zu stürzen […] Die internationale imperialistische Bourgeoisie hat in „ihrem“ Krieg 10 Millionen Menschen gemordet und 20 Millionen zu Krüppeln gemacht, in einem Krieg, der darum geführt wird, ob die englischen oder die deutschen Räuber die ganze Welt beherrschen sollen. Wenn unser Krieg, der Krieg der Unterdrückten und Ausgebeuteten gegen die Unterdrücker und Ausbeuter, in allen Ländern eine halbe oder eine ganze Million Opfer kostet, so wird die Bourgeoisie sagen, die Opfer ihres Krieges seien berechtigt, die unseres Krieges aber verbrecherisch. […] Die Repräsentanten der Bourgeoisie begreifen wohl, dass … der Sturz der Sklavenhalterherrschaft [Anm.: in den USA] es wert war, dass das ganze Land lange Jahre des Bürgerkriegs, einen Abgrund von Zerstörung, Verwüstung und Terror, diese Begleiterscheinungen eines jeden Krieges, auf sich nahm. Jetzt aber … können und wollen die Repräsentanten und Anwälte der Bourgeoisie ebenso wenig wie die Reformsozialisten, die von der Bourgeoisie eingeschüchtert worden sind und vor der Revolution Angst haben, nicht begreifen, dass der Bürgerkrieg notwendig und gerecht ist.“[71]

Lenin legitimierte den Roten Terror als vorübergehend notwendige Maßnahme im Bürgerkrieg, er diene der Verteidigung gegen den Weißen Terror. So erklärte er bereits 1920: „Der Terror wurde uns durch den Terrorismus der Entente aufgezwungen, als die stärksten Mächte der Welt, vor nichts zurückschreckend, mit ihren Horden über uns herfielen. Wir hätten uns keine zwei Tage halten können, wären wir diesen Versuchen der Offiziere und Weißgardisten nicht ohne Erbarmen begegnet und das bedeutet Terror … Wir erklärten, dass sich die Anwendung von Gewalt aus der Aufgabe ergibt, die Ausbeuter, die Gutsbesitzer und Kapitalisten zu unterdrücken; wenn dies getan ist, verzichten wir auf alle außerordentlichen Maßnahmen.“[72] Später präzisierte Lenin, dass er aber keineswegs die Abschaffung des Terrors vorsah: In einem Brief aus dem Jahre 1922 zur Reform der Justiz äußerte er vielmehr die Absicht, den Terror rechtlichen Konventionen zu unterwerfen; die Idee, ihn abzuschaffen, bezeichnete er hingegen als Selbsttäuschung.[73]

Gescheiterte Ausdehnung nach Polen

Abbildung der Rede vom 5. Mai 1920 als Statue in Minsk

Im Sommer 1920 unternahm Lenin nach innerparteilichen Auseinandersetzungen den Versuch, den Kommunismus im Ausland zu etablieren. Nachdem im April polnische Einheiten und ukrainische Nationalisten vergeblich versucht hatten, die Ukraine zu besetzen und aus dem sowjetischen Staatenbund zu lösen, ließ die Partei die Rote Armee in Polen einmarschieren (Polnisch-Sowjetischer Krieg). Die Hoffnung auf eine einsetzende Revolution dort erfüllte sich indes nicht. Die Polen kämpften, unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit, gegen den russischen Einmarsch. Die Rote Armee wurde von polnischen Truppen unter Marschall Józef Piłsudski mit französischer Unterstützung vernichtend geschlagen (Wunder an der Weichsel).

Agrarkrise und Kronstädter Matrosenaufstand

Während des Bürgerkrieges kam es zu einer Versorgungskrise. Ursächlich dafür war die Agrarpolitik der Bolschewiki. Gemäß den Lehren des Marxismus betrachteten sie die selbstständigen Bauern als eine kleinbürgerliche Klasse ohne Zukunft. Im Zuge der Zentralisierung der Landwirtschaft sollten die Bauern ihre Erträge zu niedrigen Festpreisen an die staatlichen Behörden abgeben. Als die Bauern dies verweigerten, ließ Lenin die Erträge durch bewaffnete Kommandos aus den Städten einsammeln. Dieses Vorgehen forderte zahlreiche Menschenleben. Die Bauern reagierten auf die Zwangsmaßnahmen mit militärischem Widerstand und der Verkleinerung der Anbauflächen, was wiederum zu noch geringeren Erträgen und vor allem in den Städten zu Hungersnöten führte. Verschärft wurde die Ernährungslage durch den andauernden Bürgerkrieg.

1921 kam es zum Kronstädter Matrosenaufstand („Für Sowjets ohne Bolschewiki!“), der für die Bolschewiki gefährlich war, weil er von Teilen der eigenen Basis kam. Er wurde jedoch blutig niedergeschlagen. Die Bolschewiki richteten zu ihrer Herrschaftssicherung Lager für Regimegegner ein, die in ihrer Funktion aber noch nicht vergleichbar waren mit den später von Stalin eingerichteten und umfassenden Arbeitslagern, die auch als Gulag bezeichnet werden.

Religionspolitik

Während des Bürgerkrieges verfolgte Lenin gegenüber der orthodoxen Kirche anfangs noch eine zurückhaltende Politik. Auf dem II. Allrussischen Sowjetkongress im November 1918 sprach sich Lenin dafür aus, die Religion nur mit gewaltlosen Mitteln der Agitation zu bekämpfen. Kurz nach seiner Machtübernahme setzte er per Dekret die Trennung von Kirche und Staat durch. Ein Jahr nach dem Bürgerkrieg dirigierte Lenin eine groß angelegte Kampagne des Staates und der Partei gegen die Kirche. Als Vorwand diente die in weiten Teilen des Landes herrschende Hungersnot, die durch die Zwangsrequirierung von Getreide, auch Saatgetreide, katastrophale Ausmaße erreichte.

Führende Kirchenleute hatten als Hilfe für die Hungernden freiwillig Teile des Kirchenbesitzes als Spenden freigegeben. Lenin verschärfte diese Maßnahme dadurch, dass er die notfalls gewaltsame Konfiskation sämtlicher Kirchengüter, inklusive geweihter Gegenstände, im Februar 1922 anordnete. Diese Maßnahmen trafen bei Teilen der Bevölkerung auf Widerstand.[74]

So äußerte sich Lenin in einem Brief an das Politbüro vom 19. März 1922 bezüglich des Vorgehens in der Stadt Schuja, wo es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Soldaten, die Kirchenbesitz einziehen sollten, und Gläubigen gekommen war, folgendermaßen:

    „Jetzt, und nur jetzt bei all den ausgehungerten, sich von Menschenfleisch ernährenden Leuten und den mit Hunderten, Tausenden von Leichen übersäten Straßen können (und müssen) wir mit energischem Eifer und ohne Erbarmen den Kirchenbesitz konfiszieren. Genau jetzt und nur jetzt ist der Augenblick, die Priester der Schwarzen Hundert niederzumachen, und zwar mit einer solchen Entschiedenheit, Erbarmungslosigkeit und Brutalität, dass sie sich noch jahrzehntelang daran erinnern werden.“[75]

„Je mehr Vertreter des reaktionären Priesterstands und der reaktionären Bourgeoisie an die Wand gestellt werden, desto besser für uns. Wir müssen all diesen Leuten unverzüglich eine solche Lektion erteilen, daß sie auf Jahrzehnte hinaus nicht mehr an irgendwelchen Widerstand denken werden“.[76] Dieses Vorgehen führte im ganzen sowjetischen Staatsgebiet zu staatlich gelenkten Pogromen gegen Gläubige, Priester und religiöse Einrichtungen. Die Zahl der geöffneten orthodoxen Gotteshäuser fiel von rund 80.000 auf 11.525. Über 14.000 orthodoxe Geistliche, Nonnen und Laien wurden dabei von staatlichen Organen erschossen. Auch die katholischen, jüdischen und muslimischen Minderheiten des Staates waren davon betroffen. Auf Lenins Initiative wurde der einflussreiche Patriarch von Moskau, Tichon, per Politbürobeschluss inhaftiert.[74]

Die orthodoxe Kirche war seit Gründung des Russischen Reiches immer eine Stütze des Zarentums gewesen. Auch deswegen richtete sich der Kampf der Bolschewiki gegen sie. In seinem Geheimbrief vom 19. März 1922 legte Lenin seine Befürchtung einer vom Klerus geleiteten Konterrevolution dar und bekräftigte, dass dieser als ehemaliger Teil der herrschenden Klasse im Zarismus bekämpft werden müsse.[77]

Kontrolle der Partei und Nutzung bürgerlicher Experten

Lenin war auch an der Kontrolle des intellektuellen Lebens im Sinne der Partei maßgeblich beteiligt. Im Juni 1922 fasste das Politbüro unter seinem Vorsitz den Beschluss, wissenschaftliche Kongresse nur noch nach Genehmigung der Geheimpolizei zuzulassen. Im selben Jahr dirigierte Lenin eine Repressionswelle gegen führende Wissenschaftler, Künstler und Studenten des Landes. Ein Teil der Opfer wurde ins Ausland oder innerhalb des Sowjetstaates verbannt. Es kam auch zu Gefängnisstrafen und zu Erschießungen. Lenin redigierte die vom hohen GPU-Offizier Josef Unschlicht erstellten Listen der Opfer selbst.[78] Auf Beschwerden des sozialistischen Schriftstellers Maxim Gorki rechtfertigte sich der Parteiführer in einem Brief wie folgt: „Die intellektuellen Kräfte der Arbeiter und Bauern wachsen im Kampf gegen die Bourgeoisie und ihre Helfershelfer, die so genannten Intellektuellen, die Lakaien des Kapitals, die sich als Gehirn der Nation wähnen. In Wirklichkeit sind sie doch nur der Unrat der Nation.“[79]

Lenin ist aber auch bestrebt gewesen, die so genannte „bürgerliche Intelligenz“ für die Revolution zu gewinnen, so meinte er im November 1919: „Die neue Gesellschaft kann nicht aufgebaut werden ohne Wissen, Technik und Kultur, diese aber sind im Besitz der bürgerlichen Spezialisten. Die meisten von ihnen sympathisieren nicht mit der Sowjetmacht, doch ohne sie können wir den Kommunismus nicht aufbauen. Man muss eine kameradschaftliche Atmosphäre um sie schaffen.“ Die Spezialisten müssen also von „Dienern des Kapitalismus, zu Dienern der werktätigen Masse, zu ihren Ratgebern gemacht werden.“ Im Januar 1922 forderte Lenin sogar von der kommunistischen Partei, „dass wir jeden Spezialisten, der gewissenhaft, mit Sachkenntnis und Hingabe arbeitet, auch wenn seine Ideologie dem Kommunismus völlig fremd ist, wie unseren Augapfel hüten.“[80]

Politik gegenüber Arbeitern und Bauern

Dort wo die Arbeiter den Vorstellungen der Bolschewiki nicht folgen wollten, zeigten diese wenig Hemmungen, auch gegen Angehörige der Arbeiterklasse mit Gewalt vorzugehen: Nachdem 1919 in den Petrograder Putilow-Werken mehrere tausend Arbeiter in den Streik getreten waren, sich in ihren Forderungen gegen die diktatorische Herrschaft der Bolschewiki gewandt hatten und Lenins Versuch, sie persönlich mit einer Rede zu disziplinieren, in den Protestrufen der Belegschaften untergegangen war, wurden Panzerwagen in die Werke entsandt und Einheiten der Tscheka herbeigeordert, die 200 Streikführer festnahmen und erschossen.[81]

Gegenüber der Landbevölkerung verfolgte Lenin eine variable Politik. Im Juni 1918 befahl er die Gründung von Komitees der Dorfarmut. Lenin teilte zur damaligen Zeit das Dorf in ärmere Bauern und Landarbeiter ein, welche mittelständischen Bauern und wohlhabenden „Kulaken“ gegenüberstünden. Mithilfe der Komitees wollte er die beiden Ersteren an die Bolschewiki binden.[82] Ebenso sollten sie der Durchsetzung der Zwangseinziehung von Nahrungsmitteln auf dem Dorf dienen. Um Motivation bei den Mitgliedern der Komitees zu wecken, durften sie einen Anteil des requirierten Getreides ihrer Dorfgenossen selbst behalten. Die Komitees erzielten aber nicht die gewünschte Wirkung, da in den meisten Fällen die Bindung der ärmeren Bauern gegenüber der Dorfgemeinschaft größer war als die Loyalität zum kommunistischen Regime.[83] Lenin wertete die Komitees in der Öffentlichkeit als großen Erfolg, schaffte sie aber de facto schon im Dezember 1918 wieder ab. Während des Jahres 1919 änderte Lenin seine Politik und konzentrierte sich darauf, die Mehrheit der Bauernschaft für sich zu gewinnen. Wegen der gleichzeitigen Zwangseinziehung von Getreide blieb es aber trotz dieser Wende bei einer tiefen Spaltung zwischen Lenins Regime und der Bauernschaft.[82]

Ansätze eines Personenkultes

Während der Frühzeit der Sowjetunion kam es bereits zu ersten Ansätzen eines Personenkults um Lenin, der nach seinem Tod erheblich ausgeweitet wurde. Lenin selbst jedoch äußerte sich abschätzig über diese Verherrlichung seiner Person und beschwerte sich in privaten Briefen darüber. In diesem Zusammenhang steht beispielhaft auch die von ihm erwirkte Freilassung einer Sowjetbürgerin, die eine seiner Abbildungen verunstaltet hatte.[68]

Neue Ökonomische Politik

Um die schlechte Versorgungslage nach dem gewonnenen Bürgerkrieg zu verbessern, setzten Lenin und Trotzki 1921 die „Neue Ökonomische Politik“ gegen eigene Bedenken und große Widerstände in der Partei durch. Sie ersetzte die Requirierungen des Kriegskommunismus durch eine Naturalsteuer und erlaubte den Bauern mit den Überschüssen im begrenzten Umfang Handel. Für Lenin war das ein zeitweiliger taktischer Schritt zurück aus pragmatischen Gründen des Machterhalts, der ihm nicht leichtfiel.[84] 1922 hielt er dazu fest: „Es ist ein großer Fehler zu meinen, daß die Neue Ökonomische Politik das Ende des Terrors bedeutet“. Und: Wir „werden zum Terror, auch zum wirtschaftlichen Terror, zurückkehren“.[85]

Fraktionsverbot und Gründung der UdSSR

Lenin 1923 in Gorki, von mehreren Schlaganfällen gezeichnet

Parallel dazu wurde auf dem 10. Parteitag jede innerparteiliche Fraktionsbildung verboten – und damit „de facto die freie Meinungsäußerung“[86] bei der Willensbildung der Partei.

Nach Lenins erstem schweren Schlaganfall vom Mai 1922 schirmte ihn das Politbüro von der Außenwelt ab, um seine Genesung zu begünstigen. Er weigerte sich jedoch, die Arbeit einzustellen, und ließ sich weiterhin über die Politik auf dem Laufenden halten. Er erholte sich etwas und nahm wieder an Diskussionen teil, wie über die Verfassungsfrage und das Außenhandelsmonopol, setzte sich auch gegen Stalin in der Frage einer Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken durch (Stalin wollte, dass die übrigen Republiken sich einfach der RSFSR anschlossen). Im November und Dezember 1922 hatte Lenin sieben Schlaganfälle.[87] Nach einem Schlaganfall im März 1923 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand noch einmal erheblich, und er konnte sich kaum noch verständlich machen.[88]

Tod, Politisches Testament und Furcht vor Bürokratisierung

Lenin verstarb am 21. Januar 1924 um 4:23 Uhr im Alter von 53 Jahren. Die genaue Todesursache blieb der Öffentlichkeit jahrzehntelang verborgen. Die von der KPdSU autorisierte Biographie sowie Dmitri Wolkogonow sprechen von massiven Durchblutungsstörungen oder von einem weiteren Schlaganfall.

Nach Lenins Tod entbrannte ein Machtkampf in der KPdSU zwischen Anhängern des Lagers um Josef Stalin und der Linken Opposition um Leo Trotzki.

In einem als politisches Testament angesehenen Brief an den Parteitag der KPdSU, den er am 25. Dezember 1922 diktierte, schätzte er seine potentiellen Nachfolger so ein:[89]

    „Genosse Stalin hat dadurch, daß er Generalsekretär geworden ist, eine unermeßliche Macht in seinen Händen konzentriert, und ich bin nicht überzeugt, daß er es immer verstehen wird, von dieser Macht vorsichtig genug Gebrauch zu machen. Andererseits zeichnet sich Genosse Trotzki, wie sein Kampf gegen das ZK in der Frage des Volkskommissariats für Verkehrswesen schon bewiesen hat, nicht nur durch hervorragende Fähigkeiten aus. Persönlich ist er wohl der fähigste Mann im gegenwärtigen ZK, aber auch ein Mensch, der ein Übermaß von Selbstbewußtsein und eine übermäßige Leidenschaft für rein administrative Maßnahmen hat.“

In einer Nachschrift vom 4. Januar 1923 wurde er in Bezug auf Stalin deutlicher:

    „Stalin ist zu grob, und dieser Fehler, der in unserer Mitte und im Verkehr zwischen uns Kommunisten erträglich ist, kann in der Funktion des Generalsekretärs nicht geduldet werden. Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte, und jemand anderen an diese Stelle zu setzen, der sich in jeder Hinsicht von dem Genossen Stalin nur durch einen Vorzug unterscheidet, nämlich dadurch, daß er toleranter, loyaler, höflicher und den Genossen gegenüber aufmerksamer, weniger launenhaft usw. ist. Es könnte so scheinen, als sei dieser Umstand eine winzige Kleinigkeit. Ich glaube jedoch, unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung einer Spaltung und unter dem Gesichtspunkt der von mir oben geschilderten Beziehungen zwischen Stalin und Trotzki ist das keine Kleinigkeit oder eine solche Kleinigkeit, die entscheidende Bedeutung gewinnen kann.“

Trotz Lenins Versuch, Stalins Aufstieg zu verhindern, sei „Stalin auch ein legitimer Spross Lenins. Er hat nur skrupelloser und konsequenter als andere die Möglichkeiten ausgeschöpft, die sich einem Machtmenschen im kommunistischen Russland innerhalb des von Lenin selbst geschaffenen allmächtigen Parteiapparates anboten“, urteilt Edgar Hösch.[90]

Wolfgang Leonhard stellt fest, dass Lenin die Entwicklung der Partei zu einem „bürokratischen Machtapparat“ mit Sorge verfolgt habe. Zwischen 1920 und 1922 habe er wiederholte Male die „mangelnde Durchführung des Demokratismus“ und die „bürokratischen Auswüchse“ innerhalb der Partei kritisiert. An die Stelle international gesinnter, vom revolutionären Marxismus und den sozialistischen Zielsetzungen durchdrungener intellektueller Revolutionäre seien mehr und mehr engstirnige Apparatschiks mit provinziellem Horizont, die in der Macht ihre Erfüllung sahen, getreten. Diese scharten sich um das Organisationsbüro und das Sekretariat der Parteiführung, wo Stalin, seit März Generalsekretär der Partei, residierte. Im März 1922 klagte Lenin, dass die sowjetische Entwicklung nur durch die „Autorität jener ganz dünnen Schicht bestimmt wird, die man die alte Parteigarde nennen kann.“ Ein geringfügiger innerer Kampf könnte dazu führen, dass die sowjetische Entwicklung „schon nicht mehr von ihr abhängig wird.“[91]

Nach dem Tode Lenins habe man seine Warnungen vor Stalin nicht beachtet, seinen dringenden Vorschlag, Stalin abzulösen, nicht mehr befolgt. Die Entwicklung in der Sowjetunion hing, wie Lenin vorausgesehen habe, nicht mehr von der alten Garde der Bolschewiki, sondern von den neuen bürokratischen Apparatschiks ab, deren Fürsprecher und Führer Stalin gewesen sei.[92]

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  Die vorliegen

Leo Trotzki (russisch Лев Троцкий Lew Trozki, wiss. Translite ration Lev Trockij; * 26. Oktoberjul./ 7. November 1879greg. als Lew Dawidowitsch Bronstein, russisch Лев Давидович Бронштейн , Transliteration Lev Davidovi č Bronštejn in Janowka, Gouvernement Cherson, Russisches Kaiserreich; † 21. August 1940 in Coyoacán, Mexiko) war ein russischer Revolutionär, kommunistischer Politiker und marxistischer Theoretiker. Trotzki, wie er sich ab 1902 nannte, war der maßgebliche Organisator der Revolution vom 25. Oktoberjul./ 7. November 1917greg., der die Bolschewiki unter der Führung von Wladimir Lenin an die Macht brachte. In der anschließend gebildeten Regierung war er Volkskommissar des Auswärtigen, für Kriegswesen, Ernährung, Transport und Verlagswesen. Als Kriegskommissar gründete er die Rote Armee, an deren Organisation und an deren Sieg im Russischen Bürgerkrieg er wesentlichen Anteil hatte. Nach Lenins Tod 1924 wurde Trotzki von Josef Stalin zunehmend entmachtet, 1929 ins Exil gezwungen und 1940 von einem sowjetischen Agenten in Mexiko ermordet. Nach ihm wurde die von der sowjetischen Parteilinie des Marxismus-Leninismus abweichende Richtung des Trotzkismus benannt. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 1.1 Kindheit und Jugend 1.2 Erste Haft und Flucht 1.3 Vor dem Umsturz 1.4 Oktoberrevolution 1.5 Gründung der Roten Armee und Bürgerkrieg 1.6 Machtkampf mit Stalin 1.7 Exil 1.8 Ermordung 2 Rezeption 3 Nachwirken 4 Schriften 5 Literatur 6 Filme 7 Weblinks 8 Einzelnachweise Leben Kindheit und Jugend Lew Bronstein als 9-Jähriger, 1888 Lew Bronstein wurde als fünftes Kind jüdischer Kolonisten im damals zum russischen Staatsgebiet gehörenden Janowka im Kreis Jelisawetgrad, dem heutigen Bereslawka in der ukrainischen Oblast Kirowohrad geboren und besuchte die Realschule der Stadt Nikolajew (heutige ukrainische Namensform Mykolajiw). Sein Vater Dawid Leontjewitsch Bronstein war Landwirt, der es zu einigem Wohlstand gebracht hatte. Der Religion gleichgültig gegenüberstehend, bewirtschaftete er mit Hilfe von Lohnarbeitern den größeren Hof namens Janowka in der Nähe der Kleinstadt Bobrynez. Seine Mutter Anna kam aus einer kleinbürgerlichen Familie und war eine gebildete, in der Stadt aufgewachsene Frau, die der jüdisch-orthodoxen Religion anhing. Seine Schwester Olga schloss sich später auch den Revolutionären an. Sie heiratete Lew Kamenew, einen einflussreichen Parteitheoretiker der Bolschewiki und eine der Hauptfiguren des thermidorianischen Triumvirates gegen die erste so genannte Linke Opposition der Zwanziger Jahre, schloss sich aber wenig später doch mit Sinowjew der Vereinigten Opposition gegen Stalin an und wurde später hingerichtet. Die Jahre im provinziellen Janowka erlebte der spätere Volkskommissar weder als unbeschwert noch als bedrückend. Er berichtete in seiner Autobiografie Mein Leben später von einer „biederen Kleinbürgerkindheit, farblos in der Schattierung, beschränkt in der Moral, nicht von Kälte und Not, aber auch nicht von Liebe, Überfluss und Freiheit geprägt“. 1886 besuchte Bronstein den Cheder, eine religiös geprägte Grundschule, in der benachbarten Kolonie Gromokley, wo er Russisch, Arithmetik und Bibel-Hebräisch erlernte. Ab 1888 absolvierte Bronstein die deutsch-lutherische Realschule zum Heiligen Paulus in der Hafenstadt Odessa. Dort lernte er das ländliche, orthodoxe Judentum, wie es seine Familie praktizierte, aus der aufgeklärten Sicht des Bürgertums zu sehen und begann, sich für ein weltoffenes, assimiliertes Judentum einzusetzen. Neun Jahre später bestand er das Abitur in Nikolajew als Bester seines Jahrgangs. Lew Bronstein, 1897 Schon ein Jahr zuvor hatte der 17-Jährige begonnen, sich politisch von einem radikaldemokratischen Oppositionellen zum Volkstümler zu entwickeln. Das Volkstümlertum gehörte mit dem Marxismus zu den beiden populärsten oppositionellen Richtungen jener Tage. Er trat einem Diskussionszirkel junger Oppositioneller bei, in dem er die Positionen der Volkstümler vertrat. Seine Kontrahentin und spätere erste Frau war die sieben Jahre ältere Alexandra Sokolowskaja, die sich als Marxistin verstand und ihn letztlich von der marxistischen Theorie überzeugte. Als Bronstein begann, sich politisch zu betätigten, stellten seine Eltern ihre Unterhaltszahlungen ein. Im Jahre 1897 war Bronstein nunmehr als Sozialist maßgeblich an der Gründung des sozialdemokratischen Südrussischen Arbeiterbundes beteiligt. Er fungierte in dieser Organisation als Propagandist und Verbindungsmann zwischen den Gruppen in Nikolajew und Odessa. Erste Haft und Flucht Polizeifoto von Bronstein nach seiner Festnahme 1898 Anfang 1898 nahm die zaristische Polizei Bronstein im Rahmen von Massenverhaftungen, deren Anlass der Verrat des Tischlers Nesterenko war, fest und ließ ihn in den Gefängnissen von Nikolajew, Cherson und Odessa einsitzen. 1899 wurde er zur Verbannung nach Sibirien verurteilt, wo er seiner Fundamentalkritik am Sankt Petersburger Regime mit intensiven Studien des dialektischen und historischen Materialismus sowie der marxistischen Weltanschauung ein theoretisches Fundament gab. Im Moskauer Überführungsgefängnis Butyrka heiratete der Revolutionär 1900 Alexandra Sokolowskaja, die ihn wenig später in die Verbannung nach Irkutsk begleitete. Im folgenden Jahr wurde ihre erste Tochter, Sinaida, geboren und 1902 die zweite Tochter Nina (gest. 1928).[1] Im Jahre 1902 verließ er wegen seiner revolutionären Arbeit seine Frau und die beiden kleinen Töchter und floh aus der Verbannung. Um die Flucht zu bewerkstelligen, legte er sich einen gefälschten Pass auf den Namen Trotzki zu, womit er sich, seinem Hang zur Ironie folgend, nach dem Oberaufseher des Gefängnisses in Odessa benannte. Diesen Namen verwendete er danach bis zum Ende seines Lebens. Vor dem Umsturz Wenig später, im Herbst 1902, kam Leo Trotzki, der Einladung von Wladimir Lenin folgend, nach London und wohnte mit ihm zusammen. In der Emigration übernahm er die Rolle des leitenden Redakteurs der sozialdemokratischen Zeitung Iskra (Der Funke), eine Tätigkeit, die ihm den Spitznamen „Leninscher Knüppel“ einbrachte; nach der Spaltung der russischen Sozialdemokratie führte er diese Arbeit jedoch nicht mehr fort. Bald schon trat er der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) Georgi Plechanows bei und vertrat auf dem II. Parteitag der SDAPR in der britischen Hauptstadt den sogenannten Sibirischen Bund. In dieser Zeit lernte Trotzki auch Alexander Parvus, eigentlich Israil Lasarewitsch Helphand, kennen, der ebenfalls aus einem jüdischen Stetl in der Nähe von Odessa stammte und der in der deutschen SPD sein politisches Betätigungsfeld gefunden hatte. Der ältere Parvus prägte den jungen Trotzki sehr stark. Dessen „Theorie der permanenten Revolution“ basiert zum Teil auf einer ähnlichen Konzeption von Parvus. 1902 hielt sich Trotzki zeitweise in Paris auf, wo er die Kunstgeschichtsstudentin Natalja Sedowa kennenlernte. Sie blieb bis zu seinem Lebensende an seiner Seite. Auf dem zweiten Parteitag der SDAPR (1903) kam es zur Spaltung der Partei über die Frage, wer als Parteimitglied betrachtet werden könne. Opponenten bei dieser Auseinandersetzung waren einerseits Lenin, nach dessen Meinung nur Personen Parteimitglied sein konnten, die sich persönlich engagierten, und andererseits Martow, der lediglich die Unterstützung der Partei als Grundlage einer Parteimitgliedschaft ansah. Bei der folgenden Abstimmung siegten die Anhänger Lenins, die in der Folge Bolschewiki (deutsch: Mehrheitler) genannt wurden; ihnen standen die Menschewiki (deutsch: Minderheitler) entgegen. Trotzki versuchte einerseits, zwischen den Parteifraktionen zu vermitteln, andererseits schwenkte er stark in die Nähe der Menschewiki ein. Er verfasste Schriften, in denen er Lenin Machtgier als Grundlage seiner Politik unterstellte und ihn einen „Diktatorenkandidaten“ oder auch „Maximilien de Lénine“ nannte (als kritische Anspielung auf den französischen Revolutionär Maximilien de Robespierre). Das Verhältnis der beiden künftigen Revolutionsführer war durch diese Polemiken lange Zeit belastet. In späteren Schriften nahm Trotzki seine menschewistischen Positionen zurück. Von August 1904 an wohnte Trotzki ein halbes Jahr lang in München. Im selben Jahr brach er mit den Menschewiki und postulierte in der „Theorie der permanenten Revolution“, dass das seiner Ansicht nach gänzlich zaristisch diskreditierte russische Bürgertum einen Umsturz nach dem Muster der Französischen Revolution nicht wagen werde. Vielmehr werde die Arbeiterklasse, die allerdings noch sehr klein sei, eine bedeutende Rolle im Bündnis mit den ärmsten Schichten der Bauernschaft und den Landproletariern bei der Errichtung der „Diktatur des Proletariats, gestützt auf den Bauernkrieg“ spielen. Dies stellt eine entscheidende Weiterentwicklung des Marxismus dar, da sich Marx in einem industriell rückständigen Land (90 % der Bevölkerung waren Bauern) keine proletarische Revolution vorstellte. Er war der Ansicht, dass erst nach einem weiteren Fortschreiten des Kapitalismus die Gesellschaft für einen kommunistischen Umsturz bereit wäre. Während der Revolution von 1905 kehrte er nach dem St. Petersburger Aufstand im Oktober 1905 nach Russland zurück, wo er zusammen mit Parvus Mitglied des St. Petersburger „Sowjets (Rat) der Arbeiterdeputierten“ wurde. Trotzki übernahm den Vorsitz des Rates. Nach seiner Verhaftung wurde Parvus sein Nachfolger. In der Verbannung verfasste Trotzki die Schrift Bilanz und Ausblick – Russland in der Revolution. 1906 wurde sein drittes Kind geboren, der Sohn Lew. Zwei Jahre später in Wien folgte der Sohn Sergej. Die Mutter beider Kinder war Natalja Sedowa. Die von Trotzki beeinflusste Massenbewegung wurde zerschlagen. Trotzki, der inzwischen zum Vorsitzenden des Sowjets aufgestiegen war und sich in den Dezemberaufständen engagiert hatte, wurde nach einem Schauprozess ein zweites Mal zu lebenslanger Verbannung verurteilt. Seine Strafe sollte er im Gouvernement Tobolsk antreten. Er floh bereits beim Transport und entkam, ebenso wie Parvus, in das habsburgische Wien. Auf dem Parteitag von 1907, abermals in London, schloss sich Trotzki weder den Bolschewiki noch den Menschewiki an, sondern stand einer von den Bolschewiki so genannten zentristischen Fraktion vor. Ab 1908 gab er zusammen mit Adolf Joffe eine Zeitung mit Namen Prawda (deutsch: „Wahrheit“ oder „Gerechtigkeit“) heraus, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen von Lenin herausgegebenen Zeitung, die ab 1912 erschien. In jener Zeit versuchte vor allem Kamenew, Trotzki von der bolschewistischen Fraktion und den Positionen Lenins zu überzeugen; Trotzki blieb allerdings Kritiker Lenins, ebenso wie Lenin die Positionen Trotzkis verurteilte. Trotzki führte nun das Leben eines rastlosen Emigranten; sammelte erste militärische Erfahrungen auf dem Balkan und lieferte zeitweise als Kriegsberichterstatter Beiträge für die Zeitung Kijewskaja mysl unter dem Titel Die Balkankriege. Es kam zum Bruch zwischen Trotzki und Parvus. Letzterer vertrat ein anderes Konzept der „Theorie der permanenten Revolution“. Von 1910 bis 1914 schloss sich Parvus den Jungtürken an und beteiligte sich an der Revolution gegen das Osmanische Reich in Konstantinopel. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete er mit amtlichen deutschen Stellen zusammen. Leo Trotzki mit seiner Tochter Nina (1915) Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges floh Trotzki vor der in Österreich drohenden Verhaftung in die neutrale Schweiz und zog im November 1914 nach Paris, um für Kijewskaja mysl über den Krieg zu berichten. Ab Januar 1915 gab er dort die Zeitung Nasche Slowo heraus, die als Organ der internationalistischen Menschewiki fungierte. Auf der Zimmerwalder Konferenz 1915 gehörte er mit Lenin, dem er sich stetig annäherte, zu den Unterzeichnern des von ihm verfassten Internationalen Sozialistischen Antikriegsmanifestes. Wegen seiner gegen den Krieg gerichteten Agitation wurde er, nachdem es unter russischen Truppen in Frankreich zu einer Meuterei gekommen war, im September 1916 von den französischen Behörden nach Spanien abgeschoben. Dort wurde er verhaftet und im Dezember 1916 nach New York deportiert. Oktoberrevolution → Hauptartikel: Oktoberrevolution In New York, wo er mit seiner zweiten Ehefrau Natalja Sedowa und seinen zwei Söhnen ein Apartment bewohnte, arbeitete Trotzki für die russisch- bzw. jiddischsprachigen Zeitungen Novy Mir und Der Forwerts. Im März 1917 erhielt er die Nachricht von der russischen Februarrevolution, durch welche die bürgerliche Provisorische Regierung unter dem Fürsten Lwow und seinem sozialdemokratischen Kriegsminister Kerenski an die Macht kam. Auf dem Weg nach Russland wurde Trotzki am 3. April 1917 in Halifax, Nova Scotia, Kanada, festgenommen und in ein Internierungslager für deutsche Kriegsgefangene gebracht. Allerdings setzte der Petrograder Sowjet – 1914 war St. Petersburg in Petrograd umbenannt worden – die Provisorische Regierung unter Druck, sich für Trotzki einzusetzen. Nach seiner Freilassung kam er im Mai 1917 in Petrograd an. Dort schloss er sich erneut einer sogenannten zentristischen Arbeiterpartei an, diesmal der Überregionalen Organisation vereinigter Sozialdemokraten (Meschrajonzy), die das Ziel hatte, die Bolschewiki und Menschewiki auszusöhnen. Nach einigen Auseinandersetzungen schloss sich die Überregionale Organisation unter der Führung Trotzkis, den in der theoretischen Auseinandersetzung allein noch die Frage einer sozialdemokratischen Massenpartei von Lenin trennte, den Bolschewiki an. Trotzki selbst wurde auf dem VI. Parteitag der Bolschewiki in absentia (er war nach dem Juliaufstand verhaftet worden) in die Partei aufgenommen und erhielt einen Platz im Zentralkomitee. Nachdem die Bolschewiki eine Mehrheit im Petrograder Sowjet erreicht hatten, wurde Trotzki im September 1917 zu dessen Vorsitzenden gewählt und organisierte in dieser Funktion die „Kampfverbände der Roten Garde“. Damit wurde er rasch zu einem der wichtigsten Männer in der Partei. Als am 10. Oktober 1917 das Zentralkomitee der Partei den Entschluss zu einem bewaffneten Aufstand gegen die schwache Regierung von Alexander Kerenski fasste, stimmte Trotzki mit der Mehrheit seiner Genossen dafür. Die später von der stalinistischen Propaganda verbreitete Behauptung, Trotzki habe sich gegen die Revolution ausgesprochen, ist nachweislich falsch. Der Winterpalast Unter seiner Federführung wurde am 16. Oktober 1917 das Militärrevolutionäre Komitee des Petrograder Sowjets gegründet. Dieses Komitee setzte den Befehl der provisorischen Regierung, zwei Drittel der Petrograder Stadtgarnison an die Front des Ersten Weltkriegs zu beordern, außer Kraft. Dies war der Beginn der Revolte des Militärrevolutionären Komitees im Smolny-Institut, wo Boten mit Nachrichten aus den verschiedenen Teilen der Stadt eintrafen, um über die Ereignisse und Erfolge der Aufständischen zu informieren. Nach der Übernahme von Bahnhöfen, Postämtern, Telegrafenamt, Ministerien und der Staatsbank sowie dem Sturm auf den Winterpalast etablierte sich am 26. Oktober um 5 Uhr morgens der am Vortag einberufene II. Gesamtrussische Kongress der Arbeiter- und Soldatendeputierten eine Koalitionsregierung aus Bolschewiki und linken Sozialrevolutionären unter dem Namen Sowjet der Volkskommissare. Gleich danach wurden die Dekrete Über den Frieden und Über den Grund und Boden verabschiedet. Die Parteien der relativ einflusslosen Duma verweigerten, mit Ausnahme der bolschewistischen Fraktion, sowohl den Entscheidungen des Kongresses als auch der Regierung die Anerkennung. Leo Trotzki 1918 Nachdem die Bolschewiki die Macht erlangt hatten, wurde Trotzki zum Volkskommissar (russisch: народный комиссар Narodnyj Kommissar, kurz Narkom) für äußere Angelegenheiten ernannt. Seine Hauptaufgabe sah er darin, Frieden mit dem Deutschen Reich und dessen Verbündeten (wie Österreich-Ungarn) zu schließen. Er sorgte für die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen Sowjetrussland und den Mittelmächten und leitete die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk. Er versuchte aufgrund der schwachen Position des revolutionären Russlands und der offen imperialistischen Position der (deutschen) Obersten Heeresleitung in der Frage der Gebietszugehörigkeit der Ukraine solange wie möglich eine Übereinkunft hinauszuzögern. Trotzkis Verhandlungspartner auf deutscher Seite war General Ludendorff, der dessen Hinhaltungstaktik durchschaute. Am 18. Februar 1918 überschritten deutsche Truppen die russisch-deutsche Frontlinie, die seit dem Waffenstillstand vom 15. Dezember 1917 Bestand hatte, und besetzten die Ukraine, die sich bereits im Januar 1918 für unabhängig erklärt hatte und die den unter Nahrungsmittelknappheit leidenden Mittelmächten als „Kornkammer“ dienen sollte ( → Ukrajinska Narodna Respublika). Aufgrund der militärischen Überlegenheit der Mittelmächte musste Sowjetrussland am 3. März 1918 den sehr nachteiligen Friedensvertrag von Brest-Litows k schließen, der den Verlust der Ukraine und weiterer Gebiete für Sowjetrussland zur Folge hatte. Das Verhalten Trotzkis während der Verhandlungen war innerhalb der Regierung und des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei stark umstritten. Während es auf der einen Seite eine Gruppierung um Karl Radek und Nikolai Bucharin gab, die die unbedingte Fortführung des „revolutionären Krieges“ und die Expansion des Sowjetgebietes forderte, ohne die verzweifelte Lage der eigenen Truppen zu berücksichtigen, wurde von einer Minderheit um Lenin eine riskante Verschleppungstaktik in der Hoffnung auf eine baldige proletarische Revolution in Deutschland und Österreich-Ungarn favorisiert. Trotzki selbst wollte laut seiner Autobiografie eine Kapitulation erst auf eine erneute Offensive von Seiten der deutschen Truppen hin unterzeichnen, enthielt sich aber auf der entscheidenden Abstimmung im ZK, um Lenin die Mehrheit zu sichern, und trat freiwillig aus diplomatisch-taktischen Gründen vom Amt des Volkskommissars für äußere Angelegenheiten zurück. Gründung der Roten Armee und Bürgerkrieg Nach dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk, den Trotzki als persönliche Niederlage betrachtete, setzte er sich für den Sieg der Bolschewiki im Russischen Bürgerkrieg ein, bei dem sich die sowjetischen „Roten“ und die zaristisch-bürgerlichen „Weißen“ gegenüberstanden. Trotzki wurde am 14. März 1918 zum Volkskommissar für das Kriegswesen ernannt und begann mit dem Aufbau der Roten Arbeiter- und Bauernarmee, kurz Roten Armee.[2] Trotzki trug mit seinem energischen und gnadenlosen Vorgehen entscheidend zum militärischen Sieg der Bolschewiki bei. Er organisierte die Umwandlung der bisher zerstreuten, desorganisierten Roten Garden in ein straff geführtes Territorialheer; unter anderem ließ er wieder militärische Ränge, Abzeichen und die Todesstrafe in der Armee einführen. Vom August 1918 bis ins Jahr 1920 mischte sich Trotzki an Bord seines Panzerzuges direkt in die Geschicke der Roten Armee ein. Im August 1918 befahl er darüber hinaus, dass bei einem aus Sicht des Oberkommandos unnötigen Rückzug einer Einheit zuerst der Kommissar und dann der militärische Befehlshaber sofort hinzurichten seien. Das Kommandopersonal wurde bis dahin von den Soldaten gewählt. Dieser demokratische Ansatz behinderte aber die Umwandlung in eine neue, zentral geführte Armee. Trotzki schaffte die demokratischen Strukturen daher großteils ab, entließ die konservativen Kosaken aus der Kavallerie und verband die Verteidigung der neuen Regierung mit dem Freiheitskampf verschiedener unterdrückter Nationalitäten des ehemaligen Zarenreiches. Bereits im September 1918 zeigte die Rückeroberung der Stadt Kasan, dass Trotzkis Maßnahmen erfolgreich waren. Unter Exilrussen hieß es dazu, die Bolschewiki kämpften „mit lettischen Stiefeln und chinesischem Opium“, denn aus Mangel an erfahrenen Offizieren förderte Trotzki den Eintritt von Offizieren der alten zaristischen Armee in die Rote Armee. Bis Kriegsende dienten rund 75.000 im roten Offizierskorps. Manche meldeten sich freiwillig, andere wurden eingezogen. Trotzki befahl, zu ihrer Kontrolle ihre Familien in Sippenhaft zu nehmen, sofern die Offiziere zu den Weißen überlaufen sollten.[3] Die offiziell als „Militärspezialisten“ bezeichneten Offiziere wurden zusätzlich der Kontrolle durch loyale Aufsichtspersonen, so genannte Politkommissare, unterworfen. Gerade dieser Aspekt führte zu harscher Kritik innerhalb der Partei; besonders Josef Stalin, der in Zarizyn, dem späteren Stalin- und heutigen Wolgograd, Kommissar der Roten Armee war, beklagte sich über die Einsetzung des Generals Sytin bei der Verteidigung der Stadt. Er und die übrigen Opponenten der neuen Militärorganisation fanden aber aufgrund der militärischen Erfolge Trotzkis kein Gehör bei Lenin. Am 6. April übernahm Trotzki noch zusätzlich das Ressort für Marineangelegenheiten. Die Regierung war von Petrograd nach Moskau umgezogen. 1919 benannten sich die Bolschewiken in Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) (KPR (B)) um, die ab 1925 Kommunistische Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) (KPdSU (B)) hieß. Unangefochtener Führer war Wladimir Lenin, der sich mit Trotzki inzwischen ausgesöhnt hatte. Zunächst standen die Bolschewiki unter großem Druck. Das Territorium der Sowjets wurde 1918 zeitweise durch die sogenannten Weißen Armeen fast auf das Gebiet der alten Moskauer Fürstentümer reduziert. Die Versorgungslage der Städte war schlecht. Zusätzlich griffen die Siegermächte des Ersten Weltkriegs durch die Entsendung eigener Truppenkontingente in die Kämpfe zugunsten der oppositionellen Weißen Armeen ein. So befanden sich zwischen 1918 und 1922 japanische, US-amerikanische, britische, italienische und französische Truppenkontingente auf russischem Gebiet. Der Roten Armee, die aus den Roten Garden hervorgegangen war, stand jedoch ein Gegner gegenüber, der über keine einheitliche Führung verfügte und widersprüchliche Zielsetzungen verfolgte. 1919 führte Trotzki den Kampf gegen den Anarchisten Nestor Machno und dessen Bewegung, die Machnowschtschina, an.[4] Bis 1920 gelang es der Roten Armee in einem sehr verlustreichen Kampf, die Weißen Truppen bis in den Osten des russischen Reiches zurückzudrängen. Im Februar desselben Jahres erlitt die Weiße Armee eine schwere Niederlage in Sibirien. Trotzki proklamierte nun den Krieg gegen Polen und dessen ukrainische Verbündeten und machte ihn zur Chefsache im Kriegskommissariat. Durch das sogenannte „Wunder an der Weichsel“ Mitte August wurde die Rote Armee allerdings empfindlich getroffen und vernichtend geschlagen. Die Offensive gegen Polen musste abgebrochen werden. Im Vertrag von Riga erwarben die Sowjets aber Weißrussland und die Ukraine. Im Mai 1921 fiel die Krim, die letzte Festung der Weißen Armee. Bis zum Ende des Russischen Bürgerkriegs 1922 eroberten die Roten Truppen unter Trotzkis Führung Aserbaidschan, Armenien und Georgien, deren Regierungen, teils menschewistisch, teils nationalistisch geprägt, die staatliche Unabhängigkeit angestrebt hatten. In Georgien fand im August ein vergeblicher Aufstand gegen die Rote Armee statt, die in den neu eroberten Ländern zum Teil als Befreier, zum Teil aber als Besatzungsmacht wahrgenommen wurde. Der Aufstand der Kronstädter Matrosen 1921 – sie forderten sofortige gleiche und geheime Neuwahlen der Sowjets, Rede- und Pressefreiheit für alle anarchistischen und linkssozialistischen Parteien, Versammlungsfreiheit, freie Gewerkschaften und eine gerechtere Verteilung von Brot[5] – wurde von der Roten Armee unter Trotzkis Führung „mit erbarmungsloser Härte und Massenerschießungen“ unterdrückt.[6] Trotzki verteidigte auch energisch die Pressezensur.[7] Auch für die blutige Niederschlagung von Bauernaufständen mit Tausenden Toten, z. B. im Gebiet der heutigen Ukraine, die sich vor allem gegen die Kornkonfiszierungen richteten, wurde Trotzki als oberster Heeresführer verantwortlich gemacht. In den 1930er Jahren kritisierten die Kommunisten Max Eastman, Boris Souvarine, Ante Ciliga und Victor Serge Trotzkis Rolle bei der brutalen Niederschlagung, die sie als Beginn des Stalinismus und als Vorläufer des Großen Terrors ihrer Gegenwart ansahen.[8] Trotzki rechtfertigte sein Vorgehen: „Ich weiß nicht […], ob es unschuldige Opfer (in Kronstadt) gab […]. Ich bin bereit, zuzugeben, dass ein Bürgerkrieg keine Schule für menschliches Verhalten ist. Idealisten und Pazifisten haben der Revolution immer Exzesse vorgeworfen. Die Schwierigkeit der Sache liegt darin, dass die Ausschreitungen der eigentlichen Natur der Revolution entspringen, die selbst ein Exzess der Geschichte ist. Mögen jene, die dazu Lust haben (in ihren armseligen journalistischen Artikeln), die Revolution aus diesem Grund verwerfen. Ich verwerfe sie nicht.“[9] Nach 1921 wurde der Kriegskommunismus allerdings von der Neuen Ökonomischen Politik abgelöst. Machtkampf mit Stalin Trotzki (rechts) mit seinem innerparteilichen Unterstützer Christian Rakowski, ca. 1924 Trotzki (4. v. l.) zusammen mit Stalin (3. v. r.) als einer der Sargträger bei der Beerdigung von Felix Dserschinski Nach der Gründung der Sowjetunion Ende Dezember 1922 begann Trotzki, die entstehende Bürokratie, den Totalitarismus der Bolschewiki und den aufkommenden russischen Nationalismus zu kritisieren. Damit stieß er sowohl auf Zustimmung als auch auf Ablehnung innerhalb der Partei. Ab 1924 richtete er seine Kritik hauptsächlich gegen Josef Stalin. Lenin äußerte Vorbehalte wegen Trotzkis „übermäßigen Selbstvertrauens“ und seiner „übermäßigen Leidenschaft für rein administrative Maßnahmen“, sagte aber auch, dass Trotzki sich „durch hervorragende Fähigkeiten“ auszeichne und „persönlich wohl der fähigste Mann im gegenwärtigen ZK“ sei.[10] Nach dem Verlesen des politischen Testaments, in dem Lenin Stalin als zu „grob“ bezeichnete, bot Stalin seinen Rücktritt an, doch der Rücktritt wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. In der Folge begann Stalin gemeinsam mit Sinowjew und Kamenew, Trotzki endgültig von der Macht zu verdrängen. Dazu gehörte, dass Lenins Testament und die Briefe in der Parteipresse und später in den Werkausgaben nicht gedruckt wurden. Lediglich Trotzki und diejenigen, die besser beurteilt worden waren als Stalin, zitierten Lenins letzten Willen in ihren Schriften. Erst ab 1956, dem Beginn der Entstalinisierung, waren diese Schriftstücke parteiintern und öffentlich zugänglich. Im Oktober 1923 griff Trotzki das bereits von Stalin dominierte Zentralkomitee an, worauf eine heftige Gegenreaktion erfolgte. Von diesem Zeitpunkt an verlor er auf Betreiben Stalins immer mehr an Einfluss innerhalb der Partei. In dieser Zeit arbeitete Trotzki auch wieder theoretisch und veröffentlichte 1923 sein Werk Literatur und Revolution. Darin prophezeite er, dass der gesellschaftliche Aufbau der Sowjetunion die physisch-psychische Selbsterziehung des Einzelnen und vor allem die Künste einen „neuen Menschen“ schaffen würden: „Der Mensch wird unvergleichlich viel stärker, klüger und feiner; sein Körper wird harmonischer, seine Bewegungen werden rhythmischer und seine Stimme wird musikalischer werden. […] Der durchschnittliche Menschentyp wird sich bis zum Niveau von Aristoteles, Goethe und Marx erheben. Und über dieser Gebirgskette werden neue Gipfel aufragen.“[11] Nach dem Tode Lenins 1924 brach schließlich ein offener Machtkampf zwischen Trotzki und Stalin über die Zukunft der Sowjetunion und die theoretischen Grundlagen für den angestrebten Kommunismus aus. Stalin begann, den sogenannten „Sozialismus in einem Land“ mit Gewalt durchzusetzen, während Trotzki weder den Apparat der Partei noch die Bevölkerung mehrheitlich an sich binden konnte. Stalin festigte mit seinen von Amts wegen gegebenen Möglichkeiten bürokratischer und militärischer Art die Diktatur in der Sowjetunion. Trotzki vertrat das Erbe des Marxismus in anderer Interpretation und berief sich auf den Imperativ der „Weltrevolution“ und die „Arbeiterdemokratie“, gemäß der Parole aus dem Kommunistischen Manifest „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“. Er versuchte, sich gegen alle von ihm so genannten „reaktionären Angriffe“ durch Stalin zu verteidigen. Sein Ziel war es, der internationalen Arbeiterschaft zum Sieg zu verhelfen. Er ging wie Lenin davon aus, dass nur eine weltweite Revolution den Sieg des Sozialismus ermöglichen könne. Dies entsprach nicht allein der bisherigen marxistischen Tradition, sondern auch der eigenen Theorie der permanenten Revolution, die er nach der Revolution von 1905 in der Schrift Ergebnisse und Perspektiven formuliert hatte und 1929 noch einmal in polemischer Form darstellte, da ihm die Stalinisten zunehmend fremde Ansichten unter diesem Namen unterschoben und versuchten, diese Theorie als „menschewistische Abweichung“ zu brandmarken. Sie besagte im Wesentlichen, dass die Revolution in rückständigen Ländern eine bürgerlich-demokratische und eine proletarische Phase ohne Unterbrechung durchlaufen müsse, zum erfolgreichen sozialistischen Aufbau der Sieg der Revolution wenigstens in den fortgeschrittensten Ländern notwendig wäre und sich schließlich auch in Arbeiterstaaten politische, kulturelle und wirtschaftliche Revolutionen vollziehen könnten und müssten, um zum Sozialismus überzugehen. Nachdem Stalin immer mächtiger geworden war, verlor Trotzki 1925 sein Amt als Kriegskommissar und musste in den nächsten Jahren verschiedene untergeordnete Tätigkeiten im Staatsdienst ausüben. Es folgte die Kennzeichnung von „Trotzkismus“ als „Abweichlertum“ und „Verrat“. Alle Schriften und Werke des „jüdischen Verschwörers“ und „Lakaien des Faschismus“ galten als Ketzerei. Stalin ließ Trotzkis Namen und Fotos aus allen offiziellen Dokumenten und Texten tilgen. Außerdem leugnete er dessen Rolle beim Oktoberaufstand und im Bürgerkrieg. 1926 wurde Trotzki aus dem Politbüro und im November 1927 auch aus der KPdSU ausgeschlossen. Auf dem XV. Parteitag der KPdSU (B) im Dezember 1927 hatte die Opposition keinen stimmberechtigten Delegierten mehr. Trotzki wurde mit anderen Oppositionellen am 17. Januar 1928 nach Alma-Ata (im heutigen Kasachstan) verbannt. Von dort wurde er in die Türkei ausgewiesen. Exil Das Haus auf der Insel Büyükada bei Istanbul, in dem Trotzki wohnte Der türkische Staat unter Atatürk gewährte Trotzki 1929 politisches Asyl. Er verbrachte die Jahre zwischen 1929 und 1933 auf der Insel Büyükada in der Türkei.[12] Trotzki war gezwungen zu schreiben, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Ausgaben dafür waren hoch, weil er immer Leibwächter zu seinem Schutz brauchte und weil seine weitere politische Arbeit finanziert werden sollte. Daher war ihm ein Angebot des New Yorker Verlages „Charles Scribner’s Sons“ recht, das Schreiben von Trotzkis Autobiographie zu finanzieren und sie zu veröffentlichen. Sie erschien 1929 und trug in der deutschen Version den Titel Mein Leben. Versuch einer Autobiographie. Der Erfolg ermunterte Trotzki, ein Angebot des New Yorker Verlags Simon & Schuster anzunehmen und eine Geschichte der Russischen Revolution zu verfassen, die 1932 erschien.[13] In der Zeit ab 1930 setzte sich Trotzki intensiv mit dem deutschen Nationalsozialismus auseinander, den er als vom Kleinbürgertum getragene, autonom von der Bourgeoisie entstandene Massenbewegung analysierte, deren objektive Funktion die Zerschlagung der gesamten Arbeiterbewegung sei. Als Gegenstrategie setzte sich Trotzki in Schriften wie Gegen den Nationalkommunismus, Soll der Faschismus wirklich siegen, Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen? und Was Nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats für eine Einheitsfront von SPD, KPD und Freien Gewerkschaften gegen die NSDAP ein. 1929 hatte Stalin begonnen, die „Neue Ökonomische Politik“ zu revidieren, mit großer Grausamkeit die Kollektivierung der Landwirtschaft durchzusetzen und mit Arbeitsarmeen die Schwerindustrie der Sowjetunion zu errichten. Auch dies wurde von Trotzki und seinen Anhängern, der Untergrundpartei der Linken Opposition, einer scharfen Kritik unterzogen. Trotzki hatte sich für eine umfassende Industrialisierung in einem langsameren Tempo und eine freiwillige Kollektivierung der Bauernschaft auf der Basis einer neu zu errichtenden Sowjetdemokratie ausgesprochen. Trotzki schrieb im Exil Pamphlete gegen Stalin, die unter anderem exklusiv in der New York Times veröffentlicht wurden.[14] Am 20. Februar 1932 wurde Trotzki die sowjetische Staatsbürgerschaft aberkannt, womit gleichzeitig die Verfolgung durch den sowjetischen Geheimdienst GPU begann. Mit der kampflosen Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung, die Trotzki im Wesentlichen als Resultat des Versagens von KPD und Komintern ansah, nahm Trotzki von seiner 1929 bis 1933 vertretenen Strategie einer Reform der stalinistischen Parteien und der Komintern Abstand und nahm Kurs auf die Gründung einer neuen, „vierten“ kommunistischen Internationalen und führte in diesem Rahmen zunächst auch (zumeist letztendlich erfolglose) Verhandlungen mit den im Londoner Büro zusammengeschlossenen Gruppen wie der SAPD oder der niederländischen Organisation um Henk Sneevliet. Die französische Regierung Daladiers gewährte ihm Asyl in Frankreich. Er hielt sich zunächst in St.Palais sur Mer,[15] später in Barbizon auf. Für Paris erhielt er keine Zugangserlaubnis. Bereits 1935 wurde ihm signalisiert, dass sein Aufenthalt in Frankreich nicht länger erwünscht sei. Er nahm ein Angebot Norwegens auf Asyl an. Er lebte dort als Gast Konrad Knudsens in Hønefoss nahe Oslo. Mit seiner regen publizistischen Tätigkeit griff er den Stalinismus mit den Moskauer Prozessen an, in denen er als Haupt einer großen Verschwörung gegen Stalin und sein System in Abwesenheit angeklagt worden war. Infolge des von der Sowjetunion ausgeübten diplomatischen Drucks wurde Trotzki von den norwegischen Behörden unter Hausarrest gesetzt. Nach Verhandlungen mit der norwegischen Regierung konnte er unter der Auflage strenger Geheimhaltung auf einem Frachtschiff nach Mexiko ausreisen. Leo Trotzki in Mexiko 1938 Trotzki (Mitte) kurz vor seinem Tod Gemeinsam mit Frida Kahlo hatte sich Diego Rivera beim mexikanischen Präsidenten Lázaro Cárdenas del Río dafür eingesetzt, Trotzki politisches Asyl in Mexiko zu gewähren. Unter der Bedingung, dass jener sich nicht politisch betätigen würde, stimmte der Präsident dem Gesuch zu.[16] Im Januar 1937 wurden Trotzki und dessen Frau Natalja Sedowa in Kahlos blauem Haus in Coyoacán empfangen. Im Jahr 1938 beherbergte Rivera auch den surrealistischen Vordenker André Breton und dessen Frau Jacqueline. Die beiden Künstler unterzeichneten ein von Trotzki verfasstes Manifest für eine revolutionäre Kunst. In seinem Exil agitierte er weiterhin gegen Stalin, deckte nach seinen Möglichkeiten die Verbrechen der GPU und der Gulags auf und veröffentlichte verschiedene kommunistische Schriften, zum Beispiel 1936 Die verratene Revolution, in der er die Sowjetunion als „bürokratisch degenerierten Arbeiterstaat“ bezeichnete und die sowjetische Arbeiterklasse zu einer politischen Revolution gegen die stalinistische Bürokratie und zur Wiederherstellung der Rätedemokratie aufrief. Die von der Zensur kontrollierte sowjetische Presse griff ihn dafür als „Wolf des Faschismus“ an.[17] 1938 gründete Trotzki die Vierte Internationale, um der inzwischen unter Stalins Dominanz stehenden Dritten Internationalen entgegenzuwirken. Für die neugegründete Organisation verfasste Trotzki im selben Jahr mit Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der 4. Internationale (besser bekannt als „Das Übergangsprogramm“) und 1940 mit dem Manifest der IV. Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution grundlegende programmatische Dokumente. Daneben widmete er sich in seinem letzten Lebensjahr der Auseinandersetzung mit der von James Burnham und Max Shachtman vertretenen These, dass sich die Sowjetunion zu einer stabilen neuen Form von Klassengesellschaft entwickelt habe. Ermordung Das festungsartig angelegte Haus, in dem Trotzki ermordet wurde Am 24. Mai 1940 überlebte Trotzki einen Angriff auf sein Haus in Coyoacán in der Avenida Río Churubusco 410. Trotzki wurde von mehreren, von Stalin gesandten und als mexikanische Polizisten getarnten Agenten attackiert, allerdings so dilettantisch, dass man vielfach an eine Inszenierung glaubte, die Trotzki international wieder in den Mittelpunkt rücken sollte. Aus Angst vor weiteren Anschlägen ließ er danach das Haus ausbauen und bewachen: Die Mauern wurden erhöht, Holztüren durch Eisentüren ersetzt, Fenster teilweise zugemauert. Sieben bis acht Wachleute schützten freiwillig und unbezahlt das kleine Anwesen in der verkehrsreichen inneren Ringstraße im Süden von Mexiko-Stadt rund um die Uhr. Das Arbeitszimmer, in dem Leo Trotzki ermordet wurde Trotzkis Grab im Garten des Museo Casa de León Trotsky Drei Monate später hatte ein von Stalin beauftragter Mordanschlag Erfolg: Der Sowjetagent Ramón Mercader hatte sich als Frank Jacson mit einer Sekretärin Trotzkis verlobt und so Zugang zu dessen Anwesen erhalten. Am 20. August besuchte er Trotzki und bat um Durchsicht eines von ihm verfassten politischen Artikels. Kurz nach 17 Uhr griff Mercader Trotzki in dessen Arbeitszimmer mit einem Eispickel an, wobei Trotzki schwer am Kopf verletzt wurde. Seine Leibwächter fanden ihn blutüberströmt, aber noch bei Bewusstsein. Einen Tag später starb Leo Trotzki an den Folgen dieses Anschlags. In Mexiko trauerten viele um Trotzki. 300.000 Menschen begleiteten Trotzkis Leichenzug in Mexiko. Seine Leiche wurde eingeäschert und im Garten seines Hauses begraben. 22 Jahre später kam die Asche seiner in Paris gestorbenen Frau Natalja dazu. Diese Stelle markiert heute ein weißer, mit Hammer und Sichel gekennzeichneter Stein mit einer roten Fahne. Das Haus des Anschlags kann heute als Museo Casa de León Trotsky besichtigt werden. Am Aufbau des Museums war Trotzkis Enkel Esteban Volkov beteiligt.[18] Arnold Zweig bemerkte in seinem Tagebuch, Trotzki sei der Mann, „der das kostbarste und bestorganisierte Gehirn unter seiner Schädeldecke trug, das jemals mit einem Hammer eingeschlagen wurde“. Im Jahr 2005 wurde der verschollen geglaubte Eispickel gefunden.[19] Das Mordinstrument wurde nach Trotzkis Tod im Kriminologischen Museum in Mexiko-Stadt ausgestellt, dann aber wegen Diebstahlsgefahr durch eine Kopie ersetzt. Ein mexikanischer Geheimdienstler, auch ein Mitbegründer des Museums, habe den Originalpickel an sich genommen und aufbewahrt, schrieb die mexikanische Tageszeitung La Jornada. Seine Tochter berichtete, dass ihr Vater viermal vergeblich versucht habe, den Eispickel zurückzugeben. Doch niemand wollte das Original zurückhaben. Dann nahm diese Tochter den Eispickel an sich und präsentierte ihn in einer Radiosendung. Rezeption Westdeutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre Der Mensch am Scheideweg/Der Mensch kontrolliert das Universum, Detail mit Trotzki-Porträt, Diego Rivera Nach seiner Ausbürgerung verfiel Trotzki in der Sowjetunion zunehmend der Damnatio memoriae: Seine Leistungen für die Partei und die prominente Rolle, die er beim Oktoberaufstand, beim Aufbau der Roten Armee oder bei der blutigen Niederschlagung des Kronstädter Aufstands gespielt hatte, wurden verschwiegen, geleugnet oder denunziert. Im Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU (B), einer unter der Ägide Stalins 1938 erschienenen offiziellen Darstellung, wurde seine Rolle im Oktober 1917 auf die eines Widersachers Lenins und eines Großmauls reduziert, das den Termin des Aufstands verraten und dessen Erfolg dadurch gefährdet habe.[20] Noch radikaler wurde die Erinnerung an Trotzki aus dem sowjetischen Bildgedächtnis getilgt. Fotos, auf denen er zusammen mit Lenin oder Stalin zu sehen war, wurden kupiert oder retuschiert. Berühmteste Beispiele sind die Bilder, die Grigori Goldstein am 5. Mai 1920 von einer Rede Lenins vor dem Bolschoi-Theater in Moskau machte: In den dreißiger Jahren durften nur Bildausschnitte veröffentlicht werden, die Trotzki nicht enthielten, in den sechziger Jahren retuschierte man ihn gänzlich aus dem Bild.[21] Noch 1940 wurde Trotzkis Mörder Ramón Mercader von Stalin der Leninorden verliehen, der Orden wurde seiner Mutter übergeben. Nach Verbüßung der 20-jährigen Freiheitsstrafe wurde Mercader am 31. Mai 1960 der Titel eines Helden der Sowjetunion verliehen und er wurde nach Moskau eingeladen. Dort überreichte man ihm im Jahre 1961 den Stern eines Helden der Sowjetunion samt dazugehörigen Leninorden. Die KPdSU hat den Revolutionsführer und Organisator der Roten Armee nie rehabilitiert, sowohl Nikita Chruschtschow als auch der Reformer Michail Gorbatschow versagten ihm jegliche posthume Würdigung. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel veröffentlichte 1987 ein Interview mit dem früheren Dissidenten Roi Medwedew zur Rehabilitierung Bucharins[22] und einen Bericht, laut dem der Gorbatschow-Vertraute Jegor Jakowlew den Erzfeind Stalins einen „Helden und Märtyrer“ nannte.[23] 1989 äußerte Jakowlew jedoch gegenüber dem deutschen Politiker Gregor Gysi: „Trotzki war ein erbarmungsloser Mensch, dessen Hände über und über mit Blut befleckt sind.“ Trotzkis deportierter und 1937 ermordeter Sohn Sergei Sedow wurde 1988 rehabilitiert. Trotzkis bis dahin verbotene Schriften wurden 1987 teilweise, dann ab 1989 vollständig veröffentlicht. Nachwirken Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts existieren in vielen Staaten kleine und größere trotzkistische Vereinigungen. In Großbritannien, Frankreich und einigen Ländern Lateinamerikas, wie beispielsweise Mexiko, haben sich größere trotzkistische Organisationen erhalten und gewinnen in den letzten Jahren dort auch wieder zunehmend an Bedeutung. Die Vierte Internationale ist inzwischen in mehrere Zusammenschlüsse gespalten, deren Einfluss stark begrenzt ist. Siehe auch: Trotzkismus enügen, um anzudeuten, daß es sich bei den Grundprinzipien nicht um ein abgeschlossenes Programm handelt, sondern um einen ersten Versuch, dem Problem der kommunistischen Produktion und Verteilung näher zu kommen. Und obwohl die Grundprinzipien sich mit einem noch in der Zukunft liegenden gesellschaftlichen Zustand befassen, sind sie zugleich ein geschichtliches Dokument, das einen Stand der Diskussion in der Vergangenheit beleuchtet. Ihre Verfasser waren an die vor einem halben Jahrhundert aufgeworfenen Fragen der Sozialisierung gebunden, und manche ihrer Argumente haben in der Zwischenzeit einen Teil ihrer damaligen Aktualität verloren. Der damalige Streit der Naturalwirtschaftler mit den Repräsentanten der Marktwirtschaft, in den die Grundprinzipien durch die Ablehnung beider Gruppen eingriffen, hat inzwischen sein Ende gefunden. Im allgemeinen wird der Sozialismus überhaupt nicht mehr als eine neue Gesellschaft, sondern als eine Modifikation des Kapitalismus begriffen. Die Marktwirtschaftler sprechen von der geplanten Marktwirtschaft, und die Planwirtschaftler bedienen sich der Marktwirtschaft. Die Anordnung der Produktion vom Gebrauchswert her schließt nicht die ungleiche Verteilung der Konsumgüter durch Preismanipulationen aus. Die ökonomischen Gesetze werden als unabhängig von den Gesellschaftsformationen aufgefaßt, und man streitet sich höchstens noch darüber, welche Mischung von Kapitalismus und Sozialismus ökonomischer wäre. Das ökonomische Prinzip, d.h. das Prinzip der wirtschaftlichen Rationalität, das angeblich allen Gesellschaftsordnungen zugrunde liegt und das sich als maximale Verwirklichung wirtschaftlicher Ziele mit den geringsten Kosten darstellt, ist in Wirklichkeit nichts anderes als das ordinäre kapitalistische Prinzip der Profitproduktion, die stets nach dem Höchstmaß der Ausbeutung strebt. Das ökonomische Prinzip der Arbeiterklasse ist demzufolge nichts anderes als die Abschaffung der Ausbeutung. Dieses ökonomische Prinzip, von dem die XVI Grundprinzipien ausgehen, ist ihnen bis heute vorbehalten geblieben. Abgesehen von der offensichtlichen Ausbeutung der Arbeiter in den sogenannten sozialistischen Ländern, dreht sich das akademische Geschwätz um den Sozialismus in den kapitalistischen Ländern nur um staatskapitalistische Systeme. Das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln wird immer als Staatseigentum verstanden, die administrative Zuteilung von Gütern, mit oder ohne Markt, bleibt immer die Sache zentraler Entscheidungen. Wie im Kapitalismus ist die Ausbeutung zweifach gesichert, durch die fortgesetzte Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln und durch die Monopolisierung der politischen Gewalt. Und wo man den Arbeitern eine Art Mitbestimmungsrecht zugestanden oder aufgedrängt hat, fügt der Marktmechanismus der staatlichen Ausbeutung die Selbstausbeutung hinzu. Was auch immer die Schwächen der Grundprinzipien sein mögen, in Anbetracht dieser Situation bleiben sie heute wie morgen der Ausgangspunkt aller ernsthaften Diskussionen und Bemühungen um die Verwirklichung der kommunistischen Gesellschaft. Februar 1970, Paul Mattick XII Statt des Vorwortes Nachstehendes Werk, eine gemeinsame Arbeit der "G r u p p e Internationaler Kommunisten" , zeigt in Zusammenstellung eine so starke Einheitlichkeit, daß man hier direkt von einem, wirklich positiven Kollektivwerk sprechen kann. Diese Arbeitsgrundlage der Schrift, die praktisch beweist, welches Ergebnis die gemeinsame Arbeit zielbewußter Kräfte haben kann, macht sie gerade deshalb so wertvoll. Die "Gruppe Internationaler Kommunisten" stellt, in der Nachkriegsgeschichte der Arbeiterbewegung, mit ihrem Werk erstmalig praktische Aufbaumöglichkeiten der Produktion und Verteilung im Sinne der Bedarfswirtschaftsordnung zur Debatte. Sie zieht alle gesammelten Erfahrungen der bisherigen Versuche der Arbeiterklasse und ihrer Wortführer zusammen, um so praktisch die Zusammenbruchserscheinungen derselben untersuchen zu können, und gleichzeitig an Hand der bisherigen Ergebnisse notwendige neue Wege aufzuzeigen. Sie behandelt nicht nur die Umstellungs- und Aufbaunotwendigkeiten der industriellen Faktoren, sondern zeigt ebenfalls die notwendige Verbindung zur Landwirtschaft auf. Die Verfasser eben damit einen klaren Einblick in die inneren Zusammenhänge und den gesetzmäßigen Verlauf des "gesamten" Wirtschaftskörpers. Die einfache Sprache, die jedem verständlichen Gedankengänge, ermöglichen es, daß jeder Arbeiter, der nachfolgende Seiten liest, auch den Inhalt verstehen wird. Die starke Sachlichkeit der Schrift bietet sämtlichen Richtungen der Arbeiterklasse eine breite Diskussionsmöglichkeit. Da auch wir innerhalb unserer Reihen die aufgezeigten Möglichkeiten erst gründlichst diskutieren müssen, behalten wir uns unsere Stellungnahme zu nachstehendem Inhalt für später vor. Eins wollen wir aber dieser Schrift mit auf den Weg geben: Seinen Erfolg wird das Werk: Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung dann verbürgen, wenn es die Arbeiterklasse bewußt durcharbeitet und die gesammelten Erkenntnisse in ihrem Kampf um ihre Existenz praktisch in Anwendung bringt. Der Kampf ist schwer, doch das Ziel ist es wert! Berlin 1930. Allgemeine Arbeiter-Union (Revolutionäre Betriebsorganisation .Deutschland).

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Unter Rätekommunismus versteht man eine marxistische Bewegung, deren Idee des Kommunismus vor allem vom Gedanken der kollektiven Selbstverwaltung und Basisdemokratie in Arbeiterräten geprägt ist. Inhaltsverzeichnis 1 Konzeption 2 Geschichte und Einfluss 3 Literatur 4 Weblinks Konzeption Nach Meinung der Rätekommunisten sollen in der kommunistischen Revolution die Arbeiterräte an die Stelle der Regierung treten, jedoch die Ausbildung eines autoritären Staates verhindern. Die entsprechende Gesellschaftsform wird Rätedemokratie oder Räterepublik genannt. Der Rätekommunismus steht in unversöhnlichem Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, zum Parlamentarismus und auch zum autoritären Marxismus-Leninismus. Die Sowjetunion war in ihrer Anfangszeit stark von Idee und Praxis der Rätedemokratie getragen („Alle Macht den Räten“, lautete eine Parole der Bolschewiki), bis sich spätestens unter der Herrschaft des Stalinismus die Macht der Räte schrittweise auflöste. Die Herrschaftsausübung im Rätekommunismus erfolgt maßgeblich in den Räten, welche als Exekutive, Legislative aber auch als Judikative in einem agieren. Die Vertreter dieser Organe unterliegen einem imperativen Mandat, d. h., sie können jederzeit von der Wählerschaft wieder abgewählt werden. Es besteht Rechenschaftspflicht, wodurch eine radikale Demokratie gewährleistet ist. Angehörige des Bürgertums haben in der Regel keinen Zugang zu den Räten, wie sie bereits aus den Sowjets in der russischen Revolution ausgeschlossen waren. Als Vorbild einer rätedemokratischen Organisationsstruktur gilt insbesondere die bereits von Karl Marx euphorisch begrüßte Pariser Kommune, in die Herausbildung der Idee des Rätekommunismus sind aber auch syndikalistische Konzeptionen eingeflossen. Geschichte und Einfluss Ihre Blütezeit erlebte die Idee der Rätedemokratie vor allem in Deutschland mit der Novemberrevolution im Jahr 1918 und in deren unmittelbarer Folgezeit. Im engeren Sinne rätekommunistische Organisationen entwickelten sich im Zuge der nach der Novemberrevolution zunehmenden Fraktionskämpfe innerhalb der deutschen Linken. Nach dem Ausschluss vieler Linksabweichler aus der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) unter Führung von Paul Levi Ende 1919 gründete sich die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) sowie die linke Richtungsgewerkschaft Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands (AAUD). Diese Organisationen verfügten zum Zeitpunkt ihrer Gründung über etwa hunderttausend Mitglieder – und hatten damit mehr Mitglieder als die KPD. Die wichtigste inhaltliche Differenz zwischen KPD und Rätekommunisten bestand in der Einschätzung der Führungsrolle der Partei, die von den Rätekommunisten zugunsten des Gedankens der Selbstverwaltung vehement abgelehnt wurde. Auch die Einschätzung der Entwicklung in der jungen Sowjetunion war wesentlich verschieden: Die Rätekommunisten bezeichneten die Parteiherrschaft in der Sowjetunion nach der Entmachtung der Räte als Staatskapitalismus, womit sie die Tatsache in den Blick rückten, dass die bloße Verstaatlichung der Produktionsmittel noch nicht zu ihrer Vergesellschaftung geführt habe. Stattdessen habe der Staat die Funktion der Kapitalistenklasse innerhalb der Gesellschaft übernommen. Eine Befreiung von der Lohnarbeit habe nicht stattgefunden. Bestanden ursprünglich noch gute Kontakte zur III. Kommunistischen Internationale, kam es bald darauf zum Bruch. Lenin griff die Rätekommunisten in seinem Buch Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus scharf an. Ende 1921 trennten sich Teile der AAUD von der KAPD und existierten als Allgemeine Arbeiter-Union – Einheitsorganisation (AAUE) weiter. Die rätekommunistische Bewegung verlor nach den erneut aufflammenden revolutionären Unruhen 1923 in Deutschland zunehmend an Einfluss. Rätekommunistische Organisationen in der Endphase der Weimarer Republik und im Widerstand gegen den Faschismus waren die Roten Kämpfer, die Kommunistische Räte-Union und die Kommunistische Arbeiter Union Deutschlands (KAUD). Rätekommunistische Ideen hatten auch in den Niederlanden, Großbritannien sowie Bulgarien und Dänemark Einfluss in der sozialrevolutionären Bewegung. Zu den wichtigsten Theoretikern des Rätekommunismus zählen Anton Pannekoek (Pseudonym Karl Horner), Paul Mattick, Karl Korsch, Otto Rühle, Herman Gorter, Willy Huhn, Cajo Brendel, Sylvia Pankhurst sowie die späteren Nationalbolschewisten Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim. Auch die spätere Neue Linke um 1968 sowie insbesondere die Situationisten in Frankreich waren von rätekommunistischen Ideen beeinflusst. Literatur Anton Pannekoek: Arbeiterräte. Texte zur sozialen Revolution. Germinal Verlag, Fernwald (Annerod) 2008. ISBN 978-3-88663-490-3. Anton Pannekoek: Workers’ Councils. (Introduction by Noam Chomsky) AK Press Oakland and Edinburgh 2003. Cajo Brendel: Anton Pannekoek. Denker der Revolution Freiburg 2001. (Memento vom 1. Oktober 2010 im Internet Archive) Herman Gorter: Offener Brief an den Genossen Lenin Eine Antwort auf Lenins Broschüre: "Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus" (1920) Andreas G. Graf (Hrsg.), Anarchisten gegen Hitler. Anarchisten, Anarcho-Syndikalisten, Rätekommunisten in Widerstand und Exil. Berlin: Lukas-Verlag 2001, ISBN 3-931836-23-1 Frits Kool (Hrsg.): Die Linke gegen die Parteiherrschaft. (Band 3 der 'Dokumente der Weltrevolution') Olten und Freiburg 1970. Gottfried Mergner (Hrsg.): Gruppe Internationale Kommunisten Hollands. Reinbek 1971. H. (FAU-Bremen): Syndikalismus, kommunistischer Anarchismus und Rätekommunismus. Eine Erwiderung auf die rätekommunistische Kritik am „Gewerkschaftsfetischismus“ und am kommunistischen Anarchismus Erich Mühsams, Bremen 2005. Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1923. Zur Geschichte und Soziologie der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten), der Allgemeinen Arbeiter-Union Deutschlands und der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft, Bd. 13). Meisenheim/Glan 1969. Hans Manfred Bock: Geschichte des ‘linken Radikalismus’ in Deutschland. Ein Versuch. Frankfurt/M. 1976. Philippe Bourrinet: The Dutch and German Communist Left: A Contribution to the History of the Revolutionary Movement., 1988–1998 ders.: Lexikon des deutschen Rätekommunismus 1920-1960, Paris, 1. Juli 2017, Verlag moto proprio, 我的摩托 车出版社 W.I. Lenin: Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus (1920); in: W.I. Lenin Werke Band 31, Berlin (DDR): Dietz Verlag, 1964 Die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) war eine kommunistische Partei während der Weimarer Republik, die linke, antiparlamentaristische und rätekommunistische Positionen vertrat. Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Siehe auch 3 Literatur 4 Weblinks Geschichte Die KAPD wurde am 4./5. April 1920 von Mitgliedern des linken Flügels der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) gegründet, die auf dem Heidelberger Parteitag der KPD (20.–23. Oktober 1919) durch die Zentrale Leitung unter Paul Levi ausgeschlossen worden waren. Viele von ihnen waren vor der KPD-Gründung in der Gruppe Internationale Kommunisten Deutschlands aktiv. Ihr Hauptziel war die sofortige Beseitigung der bürgerlichen Demokratie und die Konstituierung einer Diktatur des Proletariats, wobei eine Diktatur einer Partei nach russischem Vorbild verworfen wurde. Die KAPD lehnte, anders als die KPD, insbesondere die leninistische Organisationsform des sogenannten demokratischen Zentralismus, die Teilnahme an Wahlen und die Mitarbeit in reformistischen Gewerkschaften ab. Eine wichtige Rolle für die KAPD spielten die niederländischen kommunistischen Theoretiker Anton Pannekoek und Herman Gorter, die nach dem Vorbild der KAPD in den Niederlanden die KAPN ins Leben riefen, die freilich niemals die Bedeutung der Schwesterpartei in Deutschland erreichte. Hintergrund für die Gründung der KAPD war der Kapp-Putsch. Er hatte nach Ansicht des linken Flügels in der KPD gezeigt, dass das Verhalten der KPD-Parteileitung gleichbedeutend mit einem Aufgeben des revolutionären Kampfes war, da die KPD eine mehrmals wechselnde Haltung zum Generalstreik eingenommen und im Bielefelder Abkommen vom 24. März 1920 einer Entwaffnung der Roten Ruhrarmee zugestimmt hatte. Die Berliner Bezirksgruppe rief zum 3. April 1920 einen Kongress der linken Opposition ein. Dort wurde beschlossen, sich als die „Kommunistische Arbeiter-Partei Deutschlands“ zu konstituieren. Die Delegierten vertraten nach Schätzungen 80.000 KPD-Mitglieder. Die neu gegründete Partei trat für die Ablehnung der parlamentarischen Tätigkeit und den aktiven Kampf gegen den bürgerlichen Staat ein. Sie arbeitete in der Folgezeit eng mit der AAUD zusammen. Hochburgen der Partei lagen in Berlin, Hamburg, Bremen und Ostsachsen, wo sich jeweils ein Großteil der KPD-Mitglieder der neuen Partei anschloss. Im August 1920 erfolgte der Ausschluss der Hamburger Gründungsmitglieder Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim, die nationalbolschewistische Ideen vertreten hatten. Zwei Monate später wurde auch Gründungsmitglied Otto Rühle ausgeschlossen. Die KAPD war 1920 bis 1921 kooptiertes Mitglied der III. Internationale. 1921 kooperierte die KAPD bei der Märzaktion wieder mit der KPD. Ausgelöst wurde dies durch den Einmarsch von Truppen der Weimarer Republik in das mitteldeutsche Industriegebiet, wobei KAPD und KPD befürchteten, dass das Militär die Betriebe besetzen wollte. Ende 1921 kam es zu einer weiteren Absplitterung, als sich Teile der AAUD um Rühle, Franz Pfemfert und Oskar Kanehl von der KAPD trennten und die AAUE gründeten. Nach 1921, als die KAPD noch über 43.000 Mitglieder verfügte, verlor die die Partei mehr und mehr an Bedeutung und spaltete sich 1922 in die „Berliner Richtung“ und die „Essener Richtung“ um Alexander Schwab, Arthur Goldstein, Bernhard Reichenbach und Karl Schröder. Hauptgrund war die Ablehnung der Beteiligung an betrieblichen Tageskämpfen in einer als revolutionär eingeschätzten Situation durch die Essener. Die Gründung einer Kommunistischen Arbeiter-Internationale (KAI) 1922 durch die KAPD der „Essener Richtung“ (die „Berliner Richtung“ lehnte diesen Schritt als verfrüht ab), gemeinsam mit den Gruppen um Herman Gorter in den Niederlanden, um Sylvia Pankhurst in Britannien und weiteren Gruppen in Belgien, Bulgarien und unter Exilanten aus der Sowjetunion war wenig erfolgreich. Die KAI, deren Sekretariat von der deutschen Sektion dominiert wurde, zerfiel bis 1925. 1926/1927 kam es zum kurzfristigen Zusammenschluss der KAPD (Berliner Richtung) mit der Entschiedenen Linken um den aus der KPD ausgeschlossenen Abgeordneten Ernst Schwarz. Diese Fusion führte innerhalb der KAPD zu einer weiteren Spaltung, da Schwarz sein Abgeordnetenmandat nicht niederlegte, wie es eine Minderheit der Mitglieder forderte, die sich nach dem darauf erfolgten Austritt um die Zeitschrift Vulkan gruppierte. Widerstandsgruppen gegen den Nationalsozialismus, die in der Tradition der KAPD standen, waren die Roten Kämpfer und die Kommunistische Räte-Union im Raum Braunschweig. Genuine KAPD-Widerstandsgruppen gab es im Ruhrgebiet, in Leipzig (wo die örtliche KAPD-Gruppe in ihrer Druckerei auch Materialien für andere Widerstandsgruppen erstellte), in Königsberg und im litauischen Memel. Weitere bekannte Mitglieder der KAPD waren die Schriftsteller Franz Jung, Adam Scharrer und Friedrich Wendel, der Künstler Heinrich Vogeler, der Pressefotograf John Graudenz, der Anthropologe Paul Kirchhoff, die Anführer bewaffneter kommunistischer Partisanengruppen 1920/1921 Max Hölz und Karl Plättner, die rätekommunistischen Theoretiker und Aktivisten Fritz Rasch, Paul Mattick und Jan Appel sowie August Merges, der 1918/1919 kurzzeitig Präsident der Sozialistischen Republik Braunschweig war. Siehe auch Liste linkskommunistischer Organisationen in der Weimarer Republik Literatur Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918–1923. Zur Geschichte und Soziologie der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten), der Allgemeinen Arbeiter-Union Deutschlands und der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (= Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft. Bd. 13, ISSN 0542-6480). Hain, Meisenheim am Glan 1969 (Zugleich: Marburg, Universität, Dissertation, 1968). Hans Manfred Bock: Geschichte des „linken Radikalismus“ in Deutschland. Ein Versuch (= Edition Suhrkamp 645). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-00645-2. Die Allgemeine Arbeiter-Union – Einheitsorganisation (AAUE, auch AAU-E) war eine antiparlamentarische und antiautoritäre rätekommunistische Organisation in der Weimarer Zeit. Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Fraktionskämpfe und Zerfall 3 Reorganisationsversuch 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks Entstehung Die AAUE konstituierte sich im Oktober 1921, nachdem es in der KAPD und der ihr angeschlossenen betrieblichen Organisation Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands (AAUD) zu verstärkter Kritik an der Unterordnung der AAUD unter die KAPD gekommen war. Ansatz der Kritik war es, eine politisch-betriebliche Einheitsorganisation aufzubauen. Der neuen Organisation schlossen sich wesentliche Teile der AAUD-Strukturen in Ostsachsen und Nordwestdeutschland sowie Minderheiten in anderen Regionen an; bekannte Gründungsmitglieder waren u. a. der ehemalige Reichstagsabgeordnete Otto Rühle, der Herausgeber der Aktion, Franz Pfemfert, der Dichter Oskar Kanehl und der bekannte Strafverteidiger in politischen Prozessen, James Broh. Die AAUE gab die Wochenzeitungen Einheitsfront und Betriebsorganisation heraus und verfügte mit der Aktion über eine ihr nahestehende Zeitschrift. Durch die Verbindung mit der Aktion bewegten sich zeitweise auch Schriftsteller wie Max Herrmann-Neiße und Carl Sternheim im Umfeld der Organisation. Über die Mitgliederzahlen gibt es keine genaueren Angaben, die von Pfemfert genannten anfänglichen 60.000 Mitglieder dürften jedoch übertrieben gewesen sein. Fraktionskämpfe und Zerfall Schnell kam es in der neuen Organisation zu Fraktionskämpfen und zentrifugalen Tendenzen, welche bis Mitte der 1920er Jahre zur Aufspaltung in mehrere, alle den Namen AAUE tragenden Gruppen führte. Die drei letztgenannten Organisationen dürften in der Endphase der Weimarer Republik alle jeweils einige hundert Mitglieder gehabt haben: „Heidenauer Richtung“ um die Zeitschrift Revolution. Sie pflegte eine individualistische und organisationsfeindliche Ausrichtung und löste sich konsequenterweise 1923 selbst auf. „Zwickauer Richtung“ um die Zeitschrift Weltkampf. Sie trat für die Beteiligung an Betriebsratswahlen und Annäherung an anarchosyndikalistische Positionen ein, 1923 erfolgt der Anschluss an die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD). „2. Zwickauer Richtung“ um die Wochenzeitungen Proletarischer Zeitgeist (Zwickau, Auflage im Jahr 1932 von 2.400 Exemplaren) und Von Unten Auf (Hamburg). Sie zeigte Nähe zu anarchistischen Positionen und starke Intellektuellenfeindlichkeit. 1924 schloss sich dieser Organisation eine Gruppe ehemaliger KPD-Mitglieder um Ketty Guttmann an und konnte sich bis zur teilweisen Zerschlagung während der Zeit des Nationalsozialismus halten. Die Hamburger Gruppe um Otto Reimers gab in der Illegalität bis Mitte 1934 den Mahnruf heraus, anderen lokalen Gruppen gelang es teilweise die NS-Zeit zu überdauern. „Frankfurt-Breslauer Richtung“ um die Zeitschrift Die Proletarische Revolution. Sie stand in Verbindung zu den rätekommunistischen Ideen der Individualpsychologie Alfred Adlers. Sie arbeitete eng mit Otto Rühle zusammen und war aktiv in der proletarischen Freidenkerbewegung. 1931 Zusammenschluss mit Teilen der AAUD und der KAPD zur Kommunistischen Arbeiter Union Deutschlands (KAUD). Im Kopf der KAUD-Zeitschrift Der Kampfruf, die bis 1933 in Berlin erschien, bezeichnet sich die Gruppe auch als KAU-RBO (Revolutionäre Betriebsorganisation). Ehemalige Mehrheitsfraktion der alten AAUE um Franz Pfemfert und Oskar Kanehl. 1926/1927 zeitweiliger Zusammenschluss mit einer ultralinken KPD-Abspaltung um Iwan Katz und dem Industrieverband für das Verkehrsgewerbe zum Spartakusbund linkskommunistischer Organisationen (Spartakusbund Nr. 2). Sie gab Einheitsfront und später Spartakus und Die Weltrevolution heraus, zerfiel aber 1932/33. Reorganisationsversuch Versuche der Strömung um den Proletarischen Zeitgeist, nach 1945 in der Zwickauer Region die Organisation wiederherzustellen, wurden 1948 repressiv unterbunden, der leitende Aktivist der Gruppe, Wilhelm Jelinek, starb 1952 unter ungeklärten Umständen im Zuchthaus Bautzen. Anarchismus (abgeleitet von altgriechisch ἀναρχία anarchia ‚Herrschaftslosigkeit‘; Derivation aus α privativum und ἀρχή arche ‚Herrschaft‘) ist eine politische Ideenlehre und Philosophie, die Herrschaft von Menschen über Menschen und jede Art von Hierarchie als Form der Unter­drückung von Freiheit ablehnt. Dieser wird eine Gesell­schaft entgegengestellt, in der sich Individuen auf freiwilliger Basis selbst­bestimmt und föderal in Kollektiven verschiedener Art wie Kommunen als kleinster Einheit des Zusammen­lebens, Genossenschaften und Syndikaten als Basis der Produktion zusammen­schließen.[1] Es gibt innerhalb des Anarchismus viele teils sehr unterschiedliche Strömungen. Grundsätzlich bedeutet Anarchie die Aufhebung hierarchischer Strukturen – bis hin zur Auflösung staatlicher Organisiertheit der menschlichen Gesellschaft. Im Mittelpunkt stehen Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung der Individuen und kollektive Selbstverwaltung. Der Anarchismus wird in einem sozialrevolutionären Sinn von seinen Vertretern als Synthese zwischen individueller Freiheit wie im Liberalismus und sozialer Verantwortung für die Gemeinschaft wie im Sozialismus verstanden. Menschen, die nach diesen Prinzipien leben oder eine herrschaftsfreie Gesellschaft anstreben, werden als Anarchisten bezeichnet. Bisweilen wird im deutschsprachigen Raum das Adjektiv libertär (deutsch: freiheitlich) als Synonym für „anarchistisch“ benutzt. Inhaltsverzeichnis 1 Strömungen 1.1 Klassifikationen 1.2 Grundformen 1.3 Weitere Strömungen 1.4 Neuere Ansätze 2 Geschichte 2.1 Vorläufer 2.2 Anarchismus versus Marxismus 2.3 Die Propaganda der Tat 2.4 Frühes 20. Jahrhundert 2.5 Spanische Republik 2.6 Deutschland während der NS-Diktatur 2.7 Nachkriegszeit 2.7.1 Deutsche Demokratische Republik 2.7.2 Bundesrepublik Deutschland 2.7.3 International 2.8 Anarchismus in der Gegenwart 2.8.1 Organisationen 2.8.2 Periodika 3 Aktionsformen 4 Symbole 5 Siehe auch 6 Literatur 6.1 Einführungen 6.2 Klassiker 6.3 Moderne Ansätze 6.4 Kritik am Anarchismus 7 Medien 8 Weblinks 9 Einzelnachweise Strömungen Klassifikationen Peter Kropotkin Ein wichtiges Element des Anarchismus ist der innere Pluralismus, der sich in verschieden ausgeformten Strömungen zeigt, die sich meist in ihren Schwerpunkten ergänzen.[2] Alle Strömungen stimmen in der Ablehnung des Staates – besonders in seiner Ausprägung als Monarchie und Diktatur –, des Militarismus und Klerikalismus überein. In der wissenschaftlichen Sekundärliteratur werden unterschiedliche Bestimmungen und Abgrenzungen von Richtungen des Anarchismus diskutiert.[3] Schon 1894 unterschied Rudolf Stammler zwischen „individualistischen“ und „kollektivistischen“ Varianten anarchistischer Ideen.[4] In einer Darstellung von 1937 unterschied Albert Weisbord weiterführend folgende Richtungen:[5] liberal-anarchistisch libertär (Godwin) mutualistisch (Proudhon) amerikanisch-liberal (Thoreau, Warren, Tucker) kommunistisch-anarchistisch kollektivistisch (Bakunin) kommunistisch (Kropotkin, Most, „Chicagoer Märtyrer“). Franz Neumann[6] schlug 1977 eine dann vielfach rezipierte Unterscheidung folgender Strömungen vor: Individual-Anarchismus (Godwin, Stirner, Bellegarrigue) Sozialer Anarchismus (Proudhon, Landauer) Kollektiver Anarchismus (Bakunin) Kommunistischer Anarchismus (Kropotkin, Cafiero, Most) Anarcho-Syndikalismus (Pelloutier, Monatte, CNT) „Neuer Anarchismus und Studentenbewegung“ In ähnlicher Weise unterschied 1972 Erwin Oberländer[7] Individualistischer Anarchismus (Bellegarigue, Tucker, Landauer) Kollektivistischer Anarchismus (Bakunin, früher Kropotkin, Adhémar Schwitzguébel) Kommunistischer Anarchismus (Cafiero, Kropotkin, Reclus, Merlino, Goldman, Most) „Anarchismus und Gewerkschaftsbewegung“ (Pelloutier, Monatte, Machnowschtschina, CNT u. a.) „Anarchismus heute“ (Colin Ward, William O. Reichert) David L. Miller hat in seiner Monographie von 1984[8] außerdem einen „philosophischen Anarchismus“ von „individualistischem“ und „kollektivistischem“ Anarchismus unterschieden, was eine Kategorie für Autoren wie Stirner oder Godwin bereitstellt, deren Wirken den üblichen Ansetzungen einer „anarchistischen Bewegung“ vorausliegt (eine solche wird in der Sekundärliteratur zumeist nicht vor den 1860er-Jahren für greifbar gehalten). Peter Marshall hat 1992 eine einflussreiche, geographisch gegliederte Darstellung vorgelegt, die auch nichtwestliche Traditionen insbesondere des Daoismus, aber auch z. B. Gandhi einbezieht, ebenso „amerikanische Individualisten und Kommunisten“ und auch auf Verbindungen von Anarchismus und der „Neuen Rechten“ eingeht.[9] Auch der Einbezug bestimmter Klassiker ist sowohl unter den Vertretern anarchistischer Ideen wie in der Sekundärliteratur vielfach strittig, so etwa bezüglich Stirners.[10] Grundformen Michail Bakunin. (Photographie von Félix Nadar, ca. 1860) Aus der Geschichte gewerkschaftlicher Organisation und gegenseitiger Unterstützung (frz. assistance mutuelle) hat sich der Mutualismus herausgebildet, der eine soziale Symbiose in einem herrschaftsfreien System zum Ziel hat. Der Mutualismus wurde vor allem von Pierre-Joseph Proudhon geprägt und enthält revolutionäre Elemente. Im Zentrum steht jedoch eine Reform von Kredit- und Währungsordnung mit dem Ziel der Beseitigung des Profits.[11] Das von Proudhon entworfene 'Konzept des anarchistischen Föderalismus' baut auf die Vernetzung kommunaler Strukturen und gilt auch in nachfolgenden Konzepten des Anarchismus als Grundprinzip. Der kollektivistische Anarchismus basiert vor allem auf den Ideen Michail Bakunins und Mitgliedern der Juraföderation. Statt des Privateigentums an Produktionsmitteln sollen die Arbeitsmittel im Besitz überschaubarer Kollektive sein und von den Produzenten selbst kontrolliert und verwaltet werden.[12] Arbeiter sollen von demokratischen Institutionen nach der Zeit ihrer Arbeit vergütet werden. Diese Einkünfte sollten verwendet werden, um Artikel in einem kommunalen Markt zu erwerben. Föderalistische Strukturen sollen den Staat und andere zentralistische Institutionen vollständig ersetzen.[13] Anhänger des kommunistischen Anarchismus fordern einen vollständigen Bruch mit dem Kapitalismus und die Abschaffung des Geldes.[14] Die direkte Entlöhnung soll ersetzt werden durch den freien Zugang zum gemeinsamen Arbeitsprodukt.[15] Peter Kropotkin, als bedeutendster Theoretiker des kommunistischen Anarchismus, wendet sich gegen den ökonomischen Wert im Allgemeinen; sei es Geld, Arbeit oder Ware. Er sieht das Privateigentum als Grund für Unterdrückung und Ausbeutung und schlägt stattdessen eine umfassende Kollektivierung vor.[16] Der individualistische Anarchismus ist eine im 19. Jahrhundert in Nordamerika entstandene Lehre, die das Individuum und seine Interessen als Mittelpunkt der Gesellschaft ansieht, der keinen Gegensatz zu den vorgenannten sozial orientierten Formen darstellt und in Opposition zum Kollektivismus steht. Die individualistische Strömung wurde in den USA vor allem von Benjamin Tucker entwickelt. In Deutschland vertrat ihn der Anarchist und Schriftsteller John Henry Mackay, der sich hauptsächlich auf Benjamin Tucker und Max Stirner berief.[17] Der Individualanarchismus wird häufig als Extremform des Liberalismus beschrieben. Der Gegensatz zwischen Individualismus-Egoismus und Kollektivismus-Altruismus stellt eine wichtige anarchistische Auseinandersetzung dar. Weitere Strömungen Voltairine de Cleyre, eine Vertreterin des Anarchismus ohne Adjektive Wegen der Vielzahl sich inhaltlich überschneidender, im Detail jedoch durchaus verschiedener anarchistischer Ausprägungen wird für den Anarchismus im Allgemeinen, wie ihn etwa Fernando Tarrida del Mármol vertreten hat, der Begriff „Anarchismus ohne Adjektive“ verwendet. Der Ausdruck wird entweder übergreifend auf Anarchismus angewandt, wenn eine spezifische Klassifizierung abgelehnt wird, oder wenn sich dessen Anhänger den verschiedenen Strömungen gegenüber tolerant zeigen. Die bekannteste und international am stärksten organisierte Richtung ist der Anarchosyndikalismus. Seine Idee ist die Zusammenführung der Lohnabhängigen in Gewerkschaften, die sich von Tarifparteien durch die Unterstützung des revolutionären Syndikalismus unterscheiden. Die mit fast zwei Millionen Mitgliedern bislang größte anarchosyndikalistische Gewerkschaft war im Spanien der 1930er Jahre die Confederación Nacional del Trabajo (CNT), die nach der Zeit des Franquismus reorganisiert wurde. Für die rein gewaltfreie Umsetzung steht der Anarchopazifismus (auch gewaltfreier Anarchismus). Hier geht es primär um das Zusammenführen des Anarchismus mit der gewaltfreien Aktionstheorie bzw. mit Theorien der gewaltfreien Revolution. Gewaltkritik wird in diesem Zusammenhang auch als wichtiger Teil anarchistischer Herrschaftskritik verstanden. Auch christliche Anarchisten treten zumeist strikt pazifistisch auf. Sie verneinen die Herrschaft der Kirchen und Priester wie des Staates und glauben, dass Freiheit direkt durch die Lehre Jesu spreche. Eine Strömung des jüdischen Anarchismus, zum Beispiel vertreten von Bernard Lazare, entstand aus den Erfahrungen verschiedener antisemitischer Pogrome des späten 19. Jahrhunderts. Die auch als ‘anarchistischer Zionismus’ bezeichnete Idee war ein jüdisches Gesellschaftssystem ohne Staat. Durch die Zusammenarbeit mit zionistischen Sozialisten wurden viele jüdische Siedlungen in Palästina (Kibbuzim) unter britischem Mandat nach anarchistischen Vorstellungen organisiert.[18] Weitere Denkrichtungen entstanden durch die Verbindung von anarchistischen Ideen mit anderen religiösen Denktraditionen, wie beispielsweise dem Islam, dem Buddhismus und dem Hinduismus. Aus Reflexion über die Niederlage des Anarchismus in der Ukraine wurde der Plattformismus entwickelt, der eine stärkere Gemeinschaft, deutliche Verständigung über die ideologische Ausrichtung und Verbindlichkeit in der Praxis fordert. Ein ähnliches Modell vertritt der Especifismo in Südamerika. Der Insurrektionalismus oder aufständische Anarchismus ist eine revolutionäre Theorie und Praxis innerhalb der freiheitlichen Bewegung, die sich formalen Organisationen wie Basisgewerkschaften und Föderationen entgegenstellt, die auf einem politischen Programm und regelmäßigen Treffen basieren. Stattdessen befürworten Insurrektionisten Direkte Aktion und Zusammenarbeit in informellen kleinen autonomen Basisgruppen, den Affinity Groups (Bezugsgruppen). Der Anarchokapitalismus tritt für eine vom freien Markt, von freiwilligen Übereinkunften und von freiwilligen vertraglichen Bindungen geprägte Gesellschaft ein, die vollständig auf staatliche Institutionen und Eingriffe verzichtet. Die Verhältnisbestimmung dieser Ideen und ihrer Vertreter und Vorläufer zu anderen Formen des Anarchismus ist umstritten. Die Anarchist FAQ schreibt dazu, dass der Anarchokapitalismus seinen Ursprung im Liberalismus, nicht im Anarchismus habe und die Geschichte der ökonomischen Ideen des Anarchismus ignoriere, die immer antikapitalistisch gewesen seien. Zwischen anarchokapitalistischen Theoretikern und der anarchistischen politischen Bewegung bestehe keine Verbindung.[19] Dagegen sieht Stefan Blankertz den Anarchismus allgemein als radikale Form des Liberalismus.[20] Neuere Ansätze Emma Goldman Die französische Variante des Anarchismus von 1968, der Situationismus, zeigte sich in der Studentenbewegung und den Mai-Unruhen. Forderungen waren unter anderem Abschaffung der Ware, der Arbeit, der Hierarchien, Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Leben. Der Anarchafeminismus ist eine Wortschöpfung der 1970er Jahre und vereint den Radikalfeminismus mit der anarchistischen Idee. Es gibt in der anarchistischen Bewegung schon Vorläufer, so hat Emma Goldman den Kampf um weibliche Gleichberechtigung mit dem um Herrschaftsfreiheit verbunden. Die Begriffssetzung Neo-Anarchismus beschreibt die historische Erscheinungsform im Zuge der 68er-Bewegung in Deutschland, in der der theoretische Anarchismus wiederentdeckt wurde und die Hierarchiefreiheit in progressiven und „linken“ Gruppen Einzug hielt. Öko-Anarchismus ist die Bezeichnung für die Verknüpfung von Ablehnung der Herrschaft von Menschen über Menschen mit der Ablehnung der Herrschaft des Menschen über die Natur. Eine bedeutende Strömung in Nordamerika ist der Primitivismus, der die Rückkehr zu vorindustriellen Formen des Wirtschaftens propagiert. „Folk-Anarchy“, auch der „kleines-a-Anarchismus“, sind in den USA entwickelte „postlinke“ anarchistische Strömungen. Diese Ansätze finden sich in Netzwerken wie CrimethInc. und der Curious George Brigade, die sich gegen nostalgische Theorie- und Personenbezüge richten und eine „Do it yourself“-Praxis (DIY) fordern: „eine Anarchie geschaffen von gewöhnlichen Menschen, die außergewöhnliche Leben leben, genannt Folk-Anarchy.“[21] Postanarchismus stellt keine einheitliche Theorie dar, sondern ist ein Sammelbegriff für postmoderne, postfeministische und poststrukturalistische Debatten aus anarchistischer Perspektive. Das Präfix „Post“ steht für eine Infragestellung und Verwerfung von einigen Grundannahmen des klassischen Anarchismus, nicht für ein Aufgeben anarchistischer Ziele. Das äußerst positive Menschen- und Weltbild des Anarchismus des 19. Jahrhunderts gilt dem Postanarchismus als überholt. Ihm zeigt sich Herrschaft als verändert und erweitert dar, der Ausbeutung wird die unterwerfende Subjektivierung zur Seite gestellt, der positive Machtbegriff Foucaults adaptiert. Der Postanarchismus beschäftigt sich zudem mit Postkolonialismus und Antirassismus.[22] Libertärer Kommunalismus[23] ist ein reformistisch orientierter praxisnaher Entwurf für demokratische Selbstverwaltung von Gemeinden auf der Basis von Ökologie, Freiwilligkeit und Föderalismus und wurde in den kurdischen Gebieten zur Zeit des syrischen Bürgerkriegs umgesetzt. Das englischsprachige begriffliche Pendant zu libertär, libertarian, bezeichnet seit den 1950er Jahren eine Verbindung von Anarchismus und Kapitalismus.[24] Geschichte Vorläufer → Hauptartikel: Vorläufer des Anarchismus Diogenes von Sinope auf einem Gemälde von John William Waterhouse. Diogenes gehörte zu den frühen Gesellschaftskritikern und predigte die Bedürfnislosigkeit als Grundlage der Freiheit. Der Historiker Peter Marshall bezeichnet den Daoismus als „ersten klaren Ausdruck anarchistischer Sensibilität“ und dessen Hauptwerk Daodejing von Laozi als „einen der größten anarchistischen Klassiker.“[25] Die Taoisten lehnten Regierungen ab und strebten ein Leben in natürlicher und spontaner Harmonie an, wobei der Einklang des Menschen mit der Natur eine bedeutende Rolle spielte. Der Daoismus entwickelte im Laufe der Zeit ein regelrechtes System politischer Ethik und verzichtete auf Kulte und die Ausbildung einer Priesterkaste. Der Daoismus war damit auch die wichtigste Gegenströmung zum autoritären und bürokratischen Konfuzianismus, der später zur chinesischen Staatsreligion wurde.[26] Erste Vorläufer des Anarchismus in Europa finden sich in der griechischen Philosophie der Antike. Der Historiker Max Nettlau sieht die bloße Existenz des Wortes „An-Archia“ als Beleg, „dass Personen vorhanden waren, die bewußt die Herrschaft, den Staat verwarfen.“[27] Ab dem 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung predigte Diogenes von Sinope (ca. 400 – 324 v. Chr.) die Rückkehr zum naturgemäßen Leben. Er und die Schüler der von ihm begründeten Schule der Kyniker sahen die ursprüngliche Bedürfnislosigkeit als erstrebenswerten Zustand. Soziale Harmonie würde laut den Kynikern anstelle von gegenseitigem Kampf und gesellschaftlichem Konflikt bestehen, da sich diese aus der Gier des Menschen nach materiellem Besitz und dem Streben nach Ehre ergeben.[28] In den Lehren von Zenon von Kition (ca. 333–262 v. Chr.) sieht der Historiker Georg Adler zum ersten Mal in der Weltgeschichte die Ideen des Anarchismus entwickelt.[29] Zenon, der Begründer der Stoa, war ein großer Kritiker von Platons Ideal einer Gesellschaft, die mit absoluter Staatsmacht zu einem moralischen Zusammenleben finden sollte. Zenon entwarf im Gegensatz zu Platon sein eigenes Ideal einer freien staatenlosen Gemeinschaft, die der Natur des Menschen besser entsprechen würde. Anstatt dem schriftlichen Gesetz zu folgen sollten die Menschen durch innere Einsicht ihren wahren natürlichen Trieben folgen. Dies würde die Menschen zur Liebe zum Mitmenschen und zur Gerechtigkeit führen. Wie in der äußeren Natur Eintracht, Harmonie und Gleichgewicht herrschen, so würde dies dann auch in der menschlichen Gesellschaft gelten. Daraus folgt die Negation des Gesetzes, der Gerichte, der Polizei, der Schule, der Ehe, des Geldes, der staatlichen Religion und des Staates. Über alle Völkergrenzen hinaus würde der Mensch in vollkommenster Gleichheit leben. Jeder sollte freiwillig gemäß seinen Fähigkeiten arbeiten und je nach Bedürfnis konsumieren dürfen.[29] Im späten Altertum und im Mittelalter gab es verschiedene verfolgte Sekten und Ketzer mit freiheitlichen Merkmalen. Anarchistische Elemente sind im Mittelalter jedoch erstmals beim Häretiker Amalrich von Bena und seinen Anhängern, den Amalrikanern, dokumentiert. Ähnliches gilt für die christlich-mystischen Brüder und Schwestern des freien Geistes im 12. und 13. Jahrhundert, die sich außerhalb der Gesellschaft und ihrer Gesetze stellten.[30] Zu den Vorläufern des Anarchismus wird Étienne de La Boétie (1530–1563) gezählt, der im Alter von 18 Jahren das grundlegende Werk Discours de la servitude volontaire ou le Contr'un (deutsch: Von der freiwilligen Knechtschaft oder das Gegen Einen [den Monarchen]) schrieb. Die Grundfrage des Discours de la servitude lautet: Woher kommt es, dass sich ein ganzes Volk von einem einzigen Menschen quälen, misshandeln und gegen seinen Willen leiten lässt. Monarchen stützen sich nicht nur auf Repression, um ihre Herrschaft zu erhalten. Viel wichtiger ist für Étienne de la Boétie der Fakt, dass sich die Untertanen freiwillig in ihre Knechtschaft ergeben und so erst dem einen Menschen die Macht übertragen. Würden also die Untertanen dem Monarchen ihren Dienst verweigern, hätte dieser wiederum keine Macht mehr. Eine Grundkritik des Anarchismus, das Herr-/Knechtschaftsverhältnis in der Gesellschaft, hat La Boétie erstmals für die Neuzeit formuliert.[31] Im Jahr 1649, einem Jahr großer sozialer Unruhen, entstand in England unter dem Einfluss von Gerrard Winstanley die religiös-anarchistische Bewegung der Diggers. Die bestehende gesellschaftliche Ordnung und die Herrschaft der Großgrundbesitzer versuchten die Diggers durch die Gründung kleiner, landwirtschaftlicher Kommunen auf egalitärer Basis aufzubrechen. Durch freiwilligen Zusammenschluss aller einfachen Leute sollten die Herrschenden ausgehungert werden, wenn sie sich nicht den Kommunen anschließen. Schon 1651 waren die Kolonien der gemeinschaftlich wirtschaftenden Dissidentengruppe durch Obrigkeit und lokale Grundbesitzer wieder zerstört. William Godwin war ein englischer Gelehrter und Kritiker der autoritären Entwicklung der Französischen Revolution. 1793 formulierte er in seinem Hauptwerk Enquiry concerning political justice, dass jedwede obrigkeitliche Gewalt als ein Eingriff in die private Urteilskraft anzusehen sei. Mit seinen Ideen hatte Godwin bereits nahezu alle wesentlichen Punkte der anarchistischen Theorie vorweggenommen.[32] Anarchismus versus Marxismus Illustration aus der französischen Ausgabe von Der Anarchismus von Kropotkin, 1913 Aus den Ideen der Aufklärung, verbunden mit den sich verstärkenden radikalen Strömungen des revolutionären Liberalismus seit der französischen Revolution von 1789 und verschiedenen frühsozialistischen Ansätzen, entwickelten sich die Vorstellungen des modernen Anarchismus etwa zeitgleich mit den kommunistischen Ideen von Weitling und Marx und zunehmend in gegenseitiger Abgrenzung voneinander. Die politischen Differenzen zwischen Kommunisten und Anarchisten führten zu historisch konfliktträchtigen Situationen in der Arbeiterbewegung und der politischen Linken insgesamt; Auseinandersetzungen, die bis in die Gegenwart andauern. Erst Pierre-Joseph Proudhon bezeichnet sich selbst als Anarchist und stellt die wesentlichen Elemente des Anarchismus in seinem Werk Qu’est-ce que la propriété? ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement (1840) (dt.: Was ist das Eigentum? Untersuchungen über den Ursprung und die Grundlagen des Rechts und der Herrschaft) zusammen. Er formuliert: „Eigentum ist Diebstahl“,[33] wobei er unter Eigentum solches verstand, das die Voraussetzung für Einkommen ohne Arbeit ist. Damit stellte er Privateigentum an Produktionsmitteln, Mietshäusern, Wertpapieren und Ähnlichem ins Zentrum seiner Kritik an den herrschenden politischen und sozialen Verhältnissen im Kapitalismus. Dieses sei ebenso wie der bürgerliche Staat, der es schützen soll, direkt und unmittelbar zu bekämpfen und durch selbstorganisierte Formen des Gemeineigentums zu ersetzen. In einem Briefwechsel setzte sich Proudhon mit Karl Marx auseinander. Dabei stellte sich heraus, dass sie beide Themen wie Macht und Freiheit des Individuums oder die Rolle des Kollektivs als revolutionäres Subjekt sehr verschieden bewerteten. Proudhon argumentierte stärker mit philosophisch-ethischen Prinzipien, während Marx diese als bloß moralische Ideale kritisierte und eine wissenschaftliche Analyse der Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit vermisste. Proudhons Anhänger Michail Bakunin (kollektivistischer Anarchismus) und später Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (kommunistischer Anarchismus) verbanden seine Theorien mit der Agitation für eine soziale Revolution, die zur radikalen Umwälzung der Besitzverhältnisse notwendig sei. Bakunin lehnte die führende Rolle einer revolutionären Kaderpartei jedoch ebenso ab wie staatliche Hierarchien und verwarf damit Marx’ Forderung nach der Gründung kommunistischer Parteien ebenso wie die These von der „Diktatur des Proletariats“, die zur klassenlosen Gesellschaft führen solle. Er glaubte nicht, dass die Arbeiter zuerst die politische Staatsmacht erringen müssten, damit der Sozialismus aufgebaut und der Staat absterben könne, sondern wollte diesen direkt abschaffen. Diese Konzeption nannte er „antiautoritären Sozialismus“; ein Konzept, das von den Marxisten als „kleinbürgerlich-pseudorevolutionäre Ideologie“ abgelehnt wurde. Zwischen 1864 und 1872 waren Anarchisten und Marxisten in der noch aus einer Vielzahl politisch divergierender Gruppen der Arbeiterbewegung bestehenden Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) organisiert. Als der ideologische Konflikt zwischen den Anhängern von Bakunin einerseits und denen von Marx andererseits eskaliert war, wurde Bakunin 1872 auf Betreiben von Marx aus der IAA ausgeschlossen. Der ideologische Konflikt, der 1876 zur Auflösung der IAA (heute auch unter der Bezeichnung „Erste Internationale“ bekannt) geführt hatte, markiert die erste grundlegende Zäsur in der Geschichte des Sozialismus und der internationalen Arbeiterbewegung – noch vor deren weiteren Aufspaltung am Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert in einen reformorientierten (sozialdemokratischen) und einen revolutionären (kommunistischen) Flügel. Seit dem Auseinanderbrechen der IAA grenzen sich – Rudolf Rocker zufolge – Anarchisten in folgenden Punkten grundsätzlich vom Marxismus ab: Ablehnung der von Hegel geprägten marxistischen „Schicksalstheorien“. In der Geschichte gebe es überhaupt keine Zwangsläufigkeiten („historischen Notwendigkeiten“, „Zwangsläufigkeit des historischen Geschehens“), „sondern nur Zustände, die man duldet und die in Nichts versinken, sobald die Menschen ihre Ursachen durchschauen und sich dagegen auflehnen“ (Rocker). Ablehnung des „Historischen Materialismus“. Aus den wirtschaftlichen Verhältnissen könnte nicht alles „politische und soziale Geschehen“ erklärt werden. Der Anarchismus begreift die Menschen als handelnde Individuen, lehnt die Betrachtung von Menschen als Masse ab. Grundsätzliche Ablehnung eines Staates. Die Produktionsmittel von der Privatwirtschaft einem Staat zu übergeben, „führt lediglich zu einer Diktatur durch den Staat“ (Rocker). Ablehnung von Gesetzen und Gesetzgebern. Entscheidungen werden dezentral, kollektiv und im Konsens entschieden. „Nur das freie Übereinkommen, ‚könnte‘ das einzige moralische Band aller gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander sein“ (Rocker). Ablehnung einer Übergangsphase vom Kapitalismus zum Sozialismus. Der „Wille zur Macht“ müsse in einer freien Gesellschaft grundsätzlich bekämpft werden. radikale Ablehnung aller kapitalistisch geprägten Begriffe: Sämtliche Wertbegriffe, wie wir sie heute kennen, sind samt und sonders kapitalistische Begriffe. Luft, Sonnenlicht, Regen, Erdfeuchtigkeit, Humus, kurz, viele der wichtigsten Produktionsfaktoren sind, weil sie nicht monopolisiert werden konnten, heute kapitalistisch wertlos. (…) Mit dem Aufhören des Eigentumsbegriffes an Produktionsmitteln hört auch jeder Wertbegriff für den einzelnen auf. (Pierre Ramus, Franz Barwich) Einzelne Vertreter bezweifeln ebenfalls das Konzept der sozialen Klasse wie Errico Malatesta auf dem Kongress in Amsterdam. Die Propaganda der Tat Der französische Anarchist Ravachol war ein Verfechter der Propaganda der Tat durch Gewalt: Als Rache für getötete Demonstranten verübte er Bombenanschläge und wurde dafür guillotiniert. → Hauptartikel: Propaganda der Tat Ab den späten 1870er Jahren wurden anarchistische Aktionen und Taten mit Vorbildcharakter als Propaganda der Tat bezeichnet. Sie sollten die Gesellschaft „aufwecken“ und in der Bevölkerung Sympathien schaffen, um somit als Mittel für politische und soziale Veränderung zu dienen. Durch die relative Häufung von Attentaten zum Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Ländern kam es in der öffentlichen Meinung zu einer Reduktion des Anarchismus auf Terroranschläge, eine bis heute verbreitete Ansicht. Zu den publizistischen Unterstützern der Anschläge durch die Narodniki auf Zar Alexander II. zählten beispielsweise auch einzelne sozialdemokratische Politiker im Deutschen Reich wie Wilhelm Hasselmann und Johann Most. Durch den 1880 erfolgten Ausschluss dieser beiden Protagonisten der sozialrevolutionär-anarchistischen Fraktion der SPD-Vorläuferpartei SAP versuchte die deutsche Sozialdemokratie, sich während der Geltungsdauer des repressiven Sozialistengesetzes ihres tendenziell anarchistischen Flügels zu entledigen. Hasselmann und Most, die beispielsweise in der in London herausgegebenen und illegal im Deutschen Kaiserreich verbreiteten zunächst sozialdemokratischen, dann anarchistischen Zeitschrift Freiheit auch zu offener Gewalt gegen die antisozialistische Unterdrückungspraxis der deutschen Regierung unter Reichskanzler Otto von Bismarck aufgerufen und der SAP-Führung eine zu gemäßigte Haltung in ihrer bloß verbalen Systemopposition vorgeworfen hatten, setzten nach ihrem Parteiausschluss ihre sozialrevolutionäre Agitation im US-amerikanischen Exil fort. Schon einige Jahre zuvor hatten symbolträchtige Anschläge auf Kaiser Wilhelm I. und die Könige von Spanien und Italien stattgefunden. Am 24. Juni 1894 aber tötete der junge italienische Einwanderer Sante Geronimo Caserio, der dem anarchistischen Umfeld zuzurechnen war, den französischen Präsidenten Carnot. Dies war der Höhepunkt einer ganzen Serie von anarchistisch motivierten Anschlägen in Frankreich. Am 10. September 1898 erstach Luigi Lucheni in Genf Kaiserin Elisabeth (Sisi). Am 6. September 1901 schoss Leon Czolgosz in Buffalo (New York) auf den US-Präsidenten William McKinley; dieser starb acht Tage später. Die 1890er Jahre wurden als ein „Jahrzehnt der Bomben“ bezeichnet. Mit Dynamit – einer damals neuen Erfindung – wurden Anschläge verübt gegen Monarchen, Präsidenten, Minister, Polizeichefs, Polizisten und gegen Richter, die Anarchisten verurteilt hatten. Andere trafen offizielle Gebäude. Die gewaltsamen Anschläge und Attentate gegen Ende des 19. Jahrhunderts, von Peter Kropotkin anlässlich eines internationalen revolutionären Kongresses 1881 in London als kontraproduktiv oder ineffektiv bezeichnet, wurden zunehmend auch von anderen Anarchisten abgelehnt. Frühes 20. Jahrhundert Anarchisten spielten in vielen Arbeiterbewegungen, Aufständen und Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts eine Rolle. Dazu gehören etwa die Mexikanische Revolution von 1910 bis 1919 mit der Bauernarmee unter Führung von Emiliano Zapata, die Oktoberrevolution 1917 in Russland und die nach ihrem Anführer Nestor Machno benannte Bauern- und Partisanenbewegung, der Machnowzi zwischen 1917 und 1921 in der Ukraine; auch in der kurzlebigen Münchner Räterepublik von 1919 waren zeitweise Anarchisten wie Gustav Landauer und der Dichter Erich Mühsam an der Räteregierung beteiligt. Die 1922 gegründete anarchosyndikalistische Internationale ArbeiterInnen-Assoziation (IAA) ist heute noch in vielen Ländern Amerikas und Europas in Arbeitskämpfen aktiv. Im frühen 20. Jahrhundert wurden Anarchistengruppen in Russland von den kommunistischen Bolschewiki verdrängt und fielen gegen Ende der russischen Revolution Säuberungsaktionen zum Opfer (Niederschlagung des Aufstandes in Kronstadt und der anarchistischen Bauernbewegung Machnowschtschina). Spanische Republik → Hauptartikel: Anarchismus in Spanien Fahne der CNT-FAI Im Spanischen Bürgerkrieg, der in den Jahren von Juni 1936 bis April 1939 zwischen verschiedenen Gruppen der Republikaner und der faschistischen Bewegung unter General Franco stattfand, wirkte der Anarchismus bisher am stärksten. Insbesondere die mitgliederstarke und einflussreiche anarchosyndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) kontrollierte mit ihrem militanten Arm, der anarchistischen Federación Anarquista Ibérica (FAI), große Teile des östlichen Spaniens. Deutschland während der NS-Diktatur Während des nationalsozialistischen Regimes war eine legale politische Tätigkeit von Anarchisten in Deutschland nicht möglich. Bereits kurz nach der Machtergreifung Hitlers wurden ab 1933 prominente Wortführer der Anarchisten in Konzentrationslager verbracht. Viele von ihnen wurden ermordet, wie beispielsweise der Dichter und Publizist Erich Mühsam. Junge und weniger bekannte Aktivisten versuchten noch mit den Schwarzen Scharen antifaschistische Widerstandsgruppen zu organisieren, wurden aber von der Gestapo ausgehoben. Ein Großteil emigrierte. Viele der emigrierten deutschen Anarchisten, darunter etwa Augustin Souchy, schlossen sich ab 1936 in Spanien während des dortigen Bürgerkriegs dem Kampf der Internationalen Brigaden auf der Seite der CNT/FAI gegen Franco an. Hunderte von in Deutschland verbliebenen Anarchisten wurden in „Schutzhaft“ genommen, in Schauprozessen verurteilt und in Konzentrationslager verbracht, von wo einige zum Ende des Zweiten Weltkriegs etwa in die SS-Sondereinheit Dirlewanger gepresst wurden.[34] Nachkriegszeit → Hauptartikel: Anarchismus in Deutschland Deutsche Demokratische Republik Kurzzeitig kam es unter sowjetischer Besatzungsmacht zum Wiederaufleben des Anarchismus, vor allem durch syndikalistische Arbeiter. Nach dem Krieg hatte sich um Wilhelm Jelinek in Zwickau ein neuer Kreis von freiheitlich gesinnten Personen gebildet. Jelinek war Betriebsratsvorsitzender eines großen Industriebetriebes. Dieser Kreis verschickte Rundbriefe an mindestens 18 verschiedene Orte in der sowjetischen Zone und unterhielt auch Korrespondenzen mit Anarchisten in anderen Zonen Deutschlands. Es gelang ihm durch mündliche und briefliche Agitation, ein weitmaschiges Netz über die gesamte Ostzone und spätere DDR zu spannen.[35] „In Zwickau wurde, so unglaublich es klingt, eine Informationsstelle des gesamtdeutschen Anarchismus gebildet. Sie berief Mitte 1948 nach Leipzig eine geheime Konferenz aller unter sowjetischer Besatzungsmacht lebenden Antiautoritären verschiedener Richtungen ein.“ Zirkulare des Zwickauer Kreises fielen den Staatsorganen in die Hände. Der Staatssicherheitsdienst wurde aufmerksam und verhaftete alle Teilnehmer. Nach Kriegsende bis zur gesprengten Tagung 1948 waren die anarchistischen Gruppierungen in der Sowjetischen Besatzungszone so stark, dass sie sogar die westdeutschen Anarchisten mit einer Vervielfältigungsmaschine und Geld unterstützen konnten.[36] Von einigen Orten aus dem Gebiet der DDR ist bekannt, dass einige ehemalige Mitglieder der FAUD sich der SED anschlossen, die zumeist in den 1950er Jahren wieder „hinausgesäubert“ wurden.[37] Bis zur Wende beschränkten sich anarchistische Aktivitäten auf die Herausgabe von Flugblättern und einigen Zeitschriften.[38] Bundesrepublik Deutschland Mit der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre stieg das öffentliche Interesse am Anarchismus. Innerhalb der Studentenbewegung gab es eine anarchistische Strömung. Auch im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der sich zum Sammelbecken der gesamten Bewegung entwickelte, waren Anarchisten vertreten. Des Weiteren hatte der Anarchismus für die Neuen sozialen Bewegungen (NSB) eine theoretische und praktische Bedeutung. Innerhalb der Autonomen, als linksradikalem Flügel der NSB, gab und gibt es eine große libertäre Strömung. Ein bundesweit organisiertes Bündnis anarchopazifistisch dominierter Bezugsgruppen war die von 1980 bis in die 1990er bestehende Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA), die über Jahre hinweg die bis in die Gegenwart erscheinende Zeitschrift Graswurzelrevolution herausgab. 1989 gründete sich die „Initiative für eine anarchistische Föderation in Deutschland“ (I-AFD).[39] Sie überstand die Jahrtausendwende und ist später im „Forum deutschsprachiger Anarchistinnen und Anarchisten“ (seit 2013 Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen) aufgegangen. Im frühen 21. Jahrhundert haben sich mehrere Ortsgruppen der Anarchistisch-Syndikalistischen Jugend gebildet. Zeitweilig, insbesondere in den 1970er Jahren, wurde vor allem in den Massenmedien die Rote Armee Fraktion (RAF) neben anderen ähnlich agierenden, dem Linksterrorismus zugeordneten Gruppierungen ebenfalls als „anarchistisch“ bezeichnet. Diese Zuordnung beruhte jedoch auf einem inhaltlich falschen bzw. in der Praxis verengten Verständnis des Anarchismus. Sie besetzte das in der Gesellschaft verbreitete, polarisierende und nicht näher spezifizierte Schlagwort Anarchie im Sinne von Anomie. Die RAF, die ihre Aktionen und Anschläge aus einem marxistisch-leninistischen Verständnis des Antiimperialismus heraus begründete, hatte selbst inhaltlich keinen anarchistischen Bezugsrahmen. Die fälschliche Fremdzuschreibung als „anarchistisch“ beruhte vor allem auf ihrer extremen Militanz, mit der ihre wesentlichen Akteure bis zur tödlichen Konsequenz für andere und sich selbst gegen Symbolfiguren der herrschenden staatlichen und ökonomischen Strukturen aus Politik, Wirtschaft und Justiz vorgingen. Deutsche Verfassungsschutzbehörden ordnen den Anarchismus mit der Begründung, er strebe eine „staats- und herrschaftsfreie Gesellschaftsordnung“ an, unter dem Begriff des Linksextremismus ein, etwa im Verfassungsschutzbericht des Bundes von 2012.[40] International In Europa und den Amerikas rekonstituierten sich die überregionalen Anarchistischen Föderationen und schlossen sich 1968 zur Internationale der Anarchistischen Föderationen zusammen. In den USA und Großbritannien entstand Ende der 1970er-Jahre der Punk als anarchistisch geprägte Subkultur. Vor allem die Mitglieder der Band Crass sind hier als engagierte Anarchisten und Pazifisten zu nennen. Nach dem Zerfall der zentralistischen Staaten des Warschauer Pakts haben sich dort weitere anarchistische Föderationen gebildet, die teilweise der Internationale beigetreten sind. Seit etwa Mitte der 1990er Jahre gibt es internationale Libertäre Buchmessen in mehr als zehn Ländern. Anarchismus in der Gegenwart Scheiss auf die Wahlen, gegen jede Repräsentation, gegen jede Autorität, für Eigenverantwortung und Autonomie, für die Anarchie. Plakat in Wien, 2016 Ein zeitgenössisches Plakat in griechischer Sprache. "Ihr erhebt euch also erneut! Sie schafften es nicht, euch auf die Knie zu zwingen. Der Geist, der euch dazu antreibt, den Staat und jede Herrschaft zu zerstören, ist nicht das Resultat irgendeines pubertären Triebs, sondern Äußerung einer natürlichen LEIDENSCHAFT für FREIHEIT, die aus den Tiefen eurer Seele entspringt." M. Bakunin Es gibt auf der ganzen Welt lokale anarchistische Gruppen, die verschiedene Strömungen propagieren und unterschiedlich organisiert sind. Die Bandbreite der Aktivitäten reicht von Herausgabe von Zeitungen über die Umsetzung direkter Aktionen bis zu anarchistischen Wohn- und Arbeitskollektiven. Der politische Einfluss ist in der Regel begrenzt. Der Anarchismus in den Niederlanden wurde Mitte der 1960er Jahre mit der Provo-Bewegung wieder aktuell. Nach der Wirtschaftskrise in Argentinien im Jahre 2000 wurden einige hundert, zumeist peronistisch ausgerichtete Betriebe in Selbstverwaltung gestellt, die allerdings am normalen weltwirtschaftlichen Geschehen teilnehmen und nur einen eingeschränkt mutualistischen Ansatz verfolgen.[41] Ebenso gelten die Autonomen- und Punk-, insbesondere Anarcho-Punk-Szenen als stark vom Anarchismus beeinflusst. Die Hausbesetzer- und Umsonstladenbewegungen gelten ebenfalls als anarchistisch inspiriert. Zu Beginn des 3. Jahrtausends adaptierte die kurdische Bewegung in Form des demokratischen Konföderalismus eine zeitgenössische, pragmatische Form der ökologischen und demokratischen Selbstverwaltung aus anarchistischen Diskursen. Organisationen An bedeutenden internationalen Gruppierungen sind die Internationale der Anarchistischen Föderationen (IFA) und die internationale anarchistische Gefangenenhilfsorganisation Anarchist Black Cross (ABC) zu erwähnen. Weltweit gibt es mehrere hundert anarchistische Basisorganisationen und libertäre Gruppen, die sich in lokalen Organisationen organisieren. In Deutschland war die Föderation freiheitlicher Sozialisten (1947 bis um 1970; Nachfolgeorganisation der FAUD) die größte Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg, heute ist die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) Mitglied der Internationalen Konföderation der Arbeiter*innen (IKA). Die Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA), 2003 gegründete Nachfolgeorganisation der 1989 ins Leben gerufenen Initiative zum Aufbau einer Anarchistischen Föderation in Deutschland, ist in der IFA assoziiert. Seit 2009 existieren mehrere Ortsgruppen der Anarcho-Syndikalistischen Jugend. 2019 gründete sich die plattform – anarchakommunistische Organisation, welche sich auf das Organisationsprinzip des Plattformismus beruft. Periodika Die wichtigsten deutschsprachigen Periodika sind die „Direkte Aktion“ der Anarchosyndikalistischen Organisation FAU-IAA, die sich vom Print-zum digitalen Medium gewandelt hat[42], die anarcho-pazifistische „Graswurzelrevolution“ und ihre auch gesondert erscheinende Beilage „Utopia“, welche 2011 eingestellt wurde. Seit 2015 erscheint halbjährlich Ne znam, eine Zeitschrift für Anarchismusforschung.[43] Die Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen veröffentlicht seit 2011 monatlich das Magazin „Gǎidào“.[44] Der vierteljährlich erschienene „Schwarze Faden“[45] ist seit 2004 eingestellt. In Berlin erschien die englischsprachige Zeitschrift „Abolishing the Borders from Below“ von 2001 bis 2010. Zum anarchistischen Umfeld werden die Selbstorganisationszeitschrift „Contraste“ und das ökologisch orientierte „Grüne Blatt“ gerechnet. Mittlerweile eingestellt wurde „Die Aktion“. Die Organisation Socialiste Libertaire gibt die „Rébéllion“[46] in deutscher und französischer Sprache heraus. Anarchistische beziehungsweise anarchosyndikalistische Wochenzeitungen erscheinen mit „Umanità Nova“ in Italien, „le monde libertaire“ in Frankreich und „Arbetaren“ in Schweden. Siehe auch: Liste anarchistischer Zeitschriften Aktionsformen Der Anarchismus ist bestrebt, direkt sozial oder politisch zu handeln. Gewaltlosigkeit sei idealerweise das Ziel einer Anarchie.[47] Aus diesem Ansatz leiten sich verschiedene Aktionsformen ab, wie zum Beispiel der in der Regel gewaltlose zivile Ungehorsam oder die Direkte Aktion, also Streik, Generalstreik, Sabotage, Betriebs- und Hausbesetzung und militante Aktionen. Die Grenze zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit in der Anarchie wird an „Notwendigkeiten“ festgemacht: „Die wahre anarchistische Gewalt hört auf, wo die Notwendigkeit der Verteidigung und der Befreiung aufhört“ schrieb Errico Malatesta, ein bedeutender Aktivist und Wortführer der italienischen Anarchisten, 1924 zur Zeit der faschistischen Diktatur in Italien.[47] Für die Errichtung und Aufrechterhaltung einer Anarchie wurde Gegengewalt im frühen 20. Jahrhundert weithin als legitimes Mittel gegen Herrschaft erachtet.[47] Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die Propaganda der Tat eine weitverbreitete Aktionsform, mit der anarchistische Ideen durch Aktionen mit Vorbildcharakter verbreitet werden sollten. Die Aktionsform wurde vor allem durch Anschläge auf exponierte Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik bekannt. In den Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts spielten Anarchisten eine Rolle und waren zum Beispiel als Partisanenbewegungen, wie die Machnowzi während des russischen Bürgerkrieges, auch von militärischer Bedeutung. Im späten 20. Jahrhundert sind neue Formen wie Kommunikationsguerilla, schwarzer Block, Clownarmee und Guerilla Gardening hinzugekommen. Symbole → Hauptartikel: Anarchistische Symbolik Die Symbole des Anarchismus umfassen eine Vielzahl von Zeichen. Am häufigsten werden das A im Kreis, eine schwarze oder diagonal schwarz geteilte Fahne und der schwarze Stern verwendet. Siehe auch Portal Portal: Anarchismus – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Anarchismus Liste bekannter Anarchisten Anarchismus in Kuba Anarchismus in der Türkei Anarchismus in den Vereinigten Staaten Anarchismus in Japan Anarchismus in Korea Literatur Einführungen Autorenkollektiv: Was ist eigentlich Anarchie. Einführung in die Theorie und Geschichte des Anarchismus. 2. überarbeitete Auflage. Kramer, Berlin 1997, ISBN 3-87956-700-X. 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Band 1. Verlag Edition AV, Lich 2016, ISBN 978-3-86841-139-3. Daniel Loick: Anarchismus zur Einführung. Junius, Hamburg 2017, ISBN 978-3-88506-768-9. Cindy Milstein: Der Anarchismus und seine Ideale. Unrast Verlag, Münster 2013, ISBN 978-3-89771-533-2. Erwin Oberländer (Hrsg.): Der Anarchismus. Walter, Olten/Freiburg 1972, ISBN 3-530-16784-3. Roland Raasch, Hans Jürgen Degen (Hrsg.): Die richtige Idee für eine falsche Welt? Perspektiven der Anarchie. Oppo-Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-926880-12-0. K. H. Z. Solneman: Das Manifest der Freiheit und des Friedens. Der Gegenpol zum kommunistischen Manifest. Mackay-Gesellschaft, Freiburg 1977, ISBN 3-921388-12-0. Horst Stowasser: Anarchie! Idee, Geschichte, Perspektiven. Edition Nautilus, Hamburg 2007, ISBN 978-3-89401-537-4. (Vorläuferband als PDF; 3,01 MB) Uwe Timm: Anarchie, eine konsequente Entscheidung für Freiheit und Wohlstand. Mackay-Gesellschaft, Freiburg 1976, ISBN 3-921388-10-4. Klassiker Pierre-Joseph Proudhon: Système des contradictions économiques ou Philosophie de la misère. 1846 System der ökonomischen Widersprüche oder: Philosophie des Elends. Kramer, Berlin 2003, ISBN 3-87956-281-4. Michail Bakunin: Dieu et l’état. 1882 (1871 verfasst) Gott und der Staat. Kramer, Berlin 1995, ISBN 3-87956-222-9. Peter Kropotkin: La Conquête du Pain. 1892 Die Eroberung des Brotes. Edition Anares, Bern 1989, ISBN 3-922209-08-4. Gustav Landauer: Aufruf zum Sozialismus. 1911; Oppo-Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-926880-11-2. Alexander Berkman: What is communist anarchism? 1929 ABC des Anarchismus. Trotzdem-Verlag, Grafenau 1999, ISBN 3-931786-00-5. Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus? 1932; Kramer, Berlin 2005, ISBN 3-87956-276-8, Volltext auf Wikisource Max Nettlau: Geschichte der Anarchie. 3 Bände Der Vorfrühling der Anarchie. Ihre historische Entwicklung von den Anfängen bis zum Jahre 1864. Verlag Der Syndikalist, Berlin 1925; Bibliothek Thélème, Münster 1993, ISBN 3-930819-02-3. Der Anarchismus von Proudhon zu Kropotkin. Seine historische Entwicklung in den Jahren 1859–1880. Verlag Der Syndikalist, Berlin 1927; Bibliothek Thélème, Münster 1993, ISBN 3-930819-04-X. Anarchisten und Sozialrevolutionäre. Die historische Entwicklung des Anarchismus in den Jahren 1880–1886. Asy-Verlag, Berlin 1931; Bibliothek Thélème, Münster 1996, ISBN 3-930819-06-6. John Henry Mackay: Die Anarchisten. Kulturgemälde aus dem Ende des XIX. Jahrhunderts. 1891; Mackay-Gesellschaft, Freiburg 1976, ISBN 3-921388-08-2. Moderne Ansätze Murray Bookchin: Remaking Society. 1989 Die Neugestaltung der Gesellschaft. Pfade in eine ökologische Zukunft. Trotzdem-Verlag, Grafenau 1992, ISBN 3-922209-35-1 (PDF; 0,5 MB) Ralf Burnicki: Anarchie als Direktdemokratie. Selbstverwaltung, Antistaatlichkeit. Eine Einführung in den Gegenstand der Anarchie. Syndikat A Medienvertrieb, Moers 1998, ISBN 3-00-002097-7 Rolf Cantzen: Weniger Staat – mehr Gesellschaft. Freiheit – Ökologie – Anarchismus. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1987, ISBN 3-596-24175-8; Trotzdem-Verlag, Grafenau 1995, ISBN 3-922209-81-5 Curious George Brigade, Crimethinc, Co-Conspirators: DIY. Von Anarchie und Dinosauriern. Unrast, Münster 2006, ISBN 3-89771-444-2 Bernd Drücke (Hrsg.): Ja! Anarchismus! Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche. Karin Kramer Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-87956-307-1 Bernd Drücke (Hrsg.): Anarchismus Hoch 2. Soziale Bewegung, Utopie, Realität, Zukunft. Karin Kramer Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-87956-375-3 Gruppe Gegenbilder (Hrsg.): Autonomie & Kooperation. Projektwerkstatt, Reiskirchen-Saasen 2005, ISBN 978-3-86747-001-8 Gruppe Gegenbilder (Hrsg., überarbeitet von Jörg Bergstedt): Freie Menschen in freien Vereinbarungen, Reiskirchen-Saasen 2012, ISBN 978-3-86747-005-6 Graswurzelrevolution (Hrsg.): Gewaltfreier Anarchismus. Herausforderungen und Perspektiven zur Jahrhundertwende. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 1999, ISBN 3-9806353-1-7 Wolfgang Haug & Michael Wilk: Der Malstrom. Aspekte anarchistischer Staatskritik. Trotzdem Verlag, Grafenau 1995, ISBN 3-922209-82-3 Gabriel Kuhn: Vielfalt – Bewegung – Widerstand. Texte zum Anarchismus Unrast Verlag, Münster 2009 ISBN 978-3-89771-497-7 Gabriel Kuhn: Anarchismus und Revolution. Gespräche und Aufsätze. Unrast Verlag, Münster 2017, ISBN 978-3-89771-226-3 Christine Magerski und David Roberts: Kulturrebellen. Studien zur anarchistischen Moderne. Wiesbaden: Springer VS 2019 ISBN 978-3-658-22274-1 Jürgen Mümken: Freiheit, Individualität und Subjektivität. Staat und Subjekt in der Postmoderne aus anarchistischer Perspektive. Verlag Edition AV, Frankfurt 2003, ISBN 3-936049-12-2 Michael Wilk: Macht, Herrschaft, Emanzipation. Aspekte anarchistischer Staatskritik. Trotzdem Verlag, Grafenau 1999, ISBN 3-931786-16-1 (michael-wilk.info [PDF; abgerufen am 28. Juli 2017]). Kritik am Anarchismus Wolfgang Harich: Zur Kritik der revolutionären Ungeduld. Eine Abrechnung mit dem alten und dem neuen Anarchismus. Verlag 8. Mai, Berlin 1998. ISBN 3-931745-06-6 Ute Nicolaus: Souverän und Märtyrer. Verlag Königshausen & Neumann. Reihe Literaturwissenschaft. Band 506. S. 39, 40. Florens Christian Rang: Kritik am Anarchismus: Das Problem der Gewalt. ISBN 3-8260-2789-2 C. Roland Hoffmann-Negulescu: Anarchie, Minimalstaat, Weltstaat. Kritik der libertären Rechts- und Staatstheorie. Kapitel IV., Anarchie, Staat und Utopie. S. 83. Tectum Verlag, Marburg 2011. ISBN 3-8288-8303-6 Syndikalismus ist eine Weiterentwicklung des Gewerkschafts-Sozialismus, die von dem französischen Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon begründet wurde. Der Syndikalismus propagiert die Aneignung von Produktionsmitteln durch die Gewerkschaften, die dann auch an Stelle politischer Stellvertreter die Verwaltung organisieren. Dabei bilden Streik, Boykott und Sabotage die Mittel der Syndikalisten; parlamentarische Bestrebungen werden abgelehnt. Inhaltsverzeichnis 1 Idee 2 Syndikalismus in Deutschland 3 Die Organisation der Lokalisten 4 Vom Lokalismus zum Syndikalismus 5 Die weitere programmatische Ausrichtung des Syndikalismus 6 Der Syndikalismus zur Zeit des Ersten Weltkriegs in Deutschland 7 Syndikalismus und Anarcho-Syndikalismus in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg 8 Die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA) 9 Syndikalismus: Zum Gebrauch des Begriffs 10 Siehe auch 11 Literatur 12 Weblinks 13 Einzelnachweise Idee Die nach föderalistischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft solle mittels eines Generalstreiks die Produktionsmittel in die Obhut der Arbeiterschaft führen. Der Zusammenschluss (Syndikat) der Produktionseinheiten würde die ökonomische Basis einer neuen Gesellschaft in Selbstverwaltung bilden. Der bedeutendste Ideengeber und Vertreter der syndikalistischen Arbeiterbewegung fand sich in der Person von Fernand Pelloutier. Ein wichtiges strukturbildendes Element stellte die Arbeiterbörse dar. Der Syndikalismus war Anfang des 20. Jahrhunderts besonders in Frankreich in Gewerkschaftskreisen verbreitet, etwa in Form der Charta von Amiens von 1906, wurde jedoch nach Ende des Ersten Weltkrieges von marxistischen Strömungen (vor allem dem Kommunismus) verdrängt und zudem vom Faschismus bekämpft. Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs 1939 war der Syndikalismus praktisch verschwunden. Erweitert und im Wesenskern ergänzt um weltanschauliche und philosophische Elemente des Anarchismus formte sich der Anarchosyndikalismus. In Spanien erreichte die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine breite Anhängerschaft von etwa zwei Millionen Mitgliedern und gehörte zu den bedeutenden Faktoren der spanischen Politik. Die CNT sympathisierte zeitweise mit der Russischen Revolution und trat 1919 der III. Internationale (Komintern) bei. Nach 1921 vertrat jedoch nur noch eine Minderheit der kommunistischen Syndikalisten die Verbindung mit der Russischen Revolution, auch international dominierte Kritik gegenüber dem sich autoritär entwickelnden Sowjetstaat.[1] In Deutschland trennten sich um 1921 die sich anfangs noch stark überlappenden Milieus syndikalistischer und kommunistischer Gewerkschaften. Konsequenterweise gründete sich 1922 ein eigener internationaler Zusammenschluss anarcho-syndikalistischer Gewerkschaften, die Internationale ArbeiterInnen-Assoziation (IAA). Syndikalismus in Deutschland Die Geschichte in Deutschland wurde zunächst durch den Begriff des „Lokalismus“ geprägt. Dieser bezeichnet dabei gleichzeitig die Herkunft und die Motivation der (anarcho-)syndikalistischen Bewegung. Sie entstammte der Sozialdemokratie und wandte sich im Zuge der Verhältnisse unter den sogenannten „Sozialistengesetzen“ (1878–1890) einem föderalistischen Gewerkschaftsmodell zu, in welchem die Ortsvereine Souverän ihrer Entscheidungen blieben und sich keiner Zentralinstanz unterordnen mussten. Das lag darin begründet, dass die regionalen Vereinsgesetze oftmals nur lokale Vereinigungen zuließen, und zum anderen daran, dass die „Lokalisten“ die zentralistische Organisationsform als anfälliger für Repressions- und Korruptionsmaßnahmen ansahen. Des Weiteren kritisierten sie die Tendenz, die Aufgaben der Gewerkschaften lediglich auf die Tagesfragen nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen festzulegen. Der Klassenkampf der Arbeiterklasse solle nicht die alleinige Aufgabe der sozialdemokratischen Partei sein. Hier lag der Keim für die weitere Ausformung des (Anarcho-)Syndikalismus begründet, die Gewerkschaften gleichermaßen als ökonomische, politische und kulturelle Bewegung anzusehen und auszurichten. Die Organisation der Lokalisten Nach dem Ende der „Sozialistengesetze“ im Jahre 1890 und weiteren Zentralisierungstendenzen auf dem Kongress von Halberstadt 1892 entstand innerhalb der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung eine Opposition zur „Generalkommission für die Zentralverbände“, welche sich dieser Entwicklung verweigerte und sich auf Reichsebene im Jahre 1897 als „Vertrauensmänner-Zentralisation Deutschlands“ bzw. „Zusammenschluss der lokalorganisierten oder auf Grund des Vertrauensmännersystems zentralisierten Gewerkschaften Deutschlands“ organisierte. Bis zum Kriegsausbruch im Jahre 1914 hielt die 1901 in „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVDG) umbenannte Organisation 11 Reichskongresse ab. Besonderen Anklang fand sie bei den Berufsvereinigungen der Bauarbeiter mit Zentrum in Berlin. Insgesamt vereinigte sie bis zum Ersten Weltkrieg bis zu 20.000 Mitglieder. Die organisatorischen Köpfe fanden sich in Fritz Kater, Gustav Keßler, Andreas Kleinlein und Carl Thieme, welche sowohl die Geschäftskommission stellten, als auch seit 1897 für das zentrale Organ Die Einigkeit verantwortlich waren, welches in einer Auflage von 10.000 zweiwöchentlich erschien. Außerdem war Fritz Kater Verleger und Herausgeber der Zeitschrift Der Syndikalist. Vom Lokalismus zum Syndikalismus Um die Jahrhundertwende bestand die Bewegung aus revolutionären Sozialdemokraten und Parteimitgliedern, doch ging die Partei in den Jahren ab 1902 verstärkt dazu über, die lokalistische Bewegung und ihr Programm der „Propaganda für die Idee des Massen- resp. Generalstreiks“ offensiv zu bekämpfen, bis die Parteitage der Jahre 1906 bis 1908 den Ausschluss der dort als „Anarcho-Sozialisten“ betitelten lokalorganisierten Mitglieder thematisierte. Diese bezeichneten sich gemäß ihrer programmatischen Ausformung selber immer häufiger als „Syndikalisten“. Ihre Entwicklung wurde weiterhin maßgeblich durch die Schriften von Fernand Pelloutier (Anarchismus und Gewerkschaften), Arnold Roller (d. i. Siegfried Nacht: Der soziale Generalstreik) und vom Konzept der französischen „bourses du travail“, den sogenannten „Arbeiterbörsen“, geprägt. Im Jahre 1908 fasste die SPD auf ihrem Parteitag in Nürnberg einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit den lokalorganisierten Gewerkschaften, woraufhin nur etwa 8.000 der insgesamt ca. 16.000 Mitglieder in der FVDG verblieben. Die weitere programmatische Ausrichtung des Syndikalismus Diese prägten fortan den Begriff „Syndikalismus“ in Deutschland und darüber hinaus und gaben sich im Jahre 1911 das Programm „Was wollen die Syndikalisten?“. Das ideelle Fundament speiste sich zusätzlich vornehmlich aus den Schriften Peter Kropotkins und trug die Bezeichnung „Kommunistischer Anarchismus“. Die Syndikalisten der FVDG setzten sich nicht nur für bessere Lohn- und Arbeitsverhältnisse ein, sondern auch für die Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems zugunsten einer „freien und von der Arbeiterschaft selbst verwalteten Gesellschaftsform“. Dieser „Umformungsprozess“ sollte durch einen Generalstreik eingeleitet werden, in dessen Folge die bislang profitorientierte Produktion zugunsten einer bedürfnisorientierten und solidarischen Wirtschaftsweise umgestellt werden sollte. Die Aufgaben der Bedarfsermittlung, der Verteilung der Produkte, aber generell auch der kulturellen Belange und die der Bildung und Erziehung sollten den Arbeiterbörsen vorbehalten bleiben, in welchen die einzelnen Berufsverbände sowie die außerberuflichen syndikalistischen Vereinigungen zusammengefasst wurden. Dieses Konzept wurde im Wesentlichen formuliert in der Prinzipienerklärung des Syndikalismus von Rudolf Rocker im Jahre 1919 und 1922 von der „Studienkommission der Berliner Arbeiterbörsen“, ausführlicher präzisiert in der Schrift Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus. Abgesehen von diesem Kernbereich wendeten sich die Syndikalisten auch gegen alle materiellen und ideologischen Bestrebungen, welche ihrer Auffassung nach einer Forcierung des Klassenkampfes zuwiderliefen, beispielsweise den Nationalismus, den Militarismus und das Kirchenwesen. Der Syndikalismus zur Zeit des Ersten Weltkriegs in Deutschland Infolge ihres Charakters wurde die FVDG mitsamt ihrer Presse (Die Einigkeit und Der Pionier) zu Kriegsbeginn im Jahre 1914 verboten, während die SPD und die Zentralgewerkschaften mit der deutschen Regierung den „Burgfrieden“ schlossen und begünstigt wurden. So mussten beispielsweise die Redakteure vieler SPD-Organe nicht zum Militärdienst antreten. Im Gegensatz zu diesen wurden viele Syndikalisten verhaftet, die öffentlich gegen den Krieg eintraten. Zudem wurden viele Aktivisten der FVDG zum Militärdienst eingezogen, so dass die bloße Aufrechterhaltung der Organisation oberste Priorität erlangte. Dazu gab die Geschäftskommission während der Kriegsjahre zwei Organe heraus, welche nach kurzer Zeit verboten wurden: Das Mitteilungsblatt der Geschäftskommission der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften (1914–1915) und das Rundschreiben an die Vorstände und Mitglieder aller der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften angeschlossenen Vereine (1915–1917). Syndikalismus und Anarcho-Syndikalismus in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg Mit dem Ende des Krieges konnte sich die FVDG neu formieren und viele von der Sozialdemokratie enttäuschte Arbeiter ansprechen. Bis 1919 schlossen sich schon etwa 60.000 Mitglieder an. Auf ihrem ersten Nachkriegskongress Ende 1919 vereinigten sich unter dem Programm der genannten Prinzipienerklärung des Syndikalismus in der in „Freie Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD) umbenannten Organisation bereits über 111.000 Syndikalisten aus dem gesamten Reichsgebiet mit regionalen Schwerpunkten in fast allen größeren Städten, besonders aber im Rheinland, im Ruhrgebiet, in Schlesien und in Berlin. Ortsvereine entstanden vor allem dort, wo die Industrialisierung einsetzte, und zudem zentralgewerkschaftliche Organisationen noch nicht Fuß gefasst hatten, so auch in vielen Kleinstädten und Dörfern. Lag der Branchenschwerpunkt während der Kaiserzeit bei den Bauarbeitern, so kamen jetzt vor allem Metallarbeiter und Bergarbeiter zu zehntausenden hinzu. Auch in der Holz-, der chemischen- und Verkehrsindustrie wuchsen mancherorts starke syndikalistische Organisationen heran. Die FVDG war eine originäre proletarische Organisation. Intellektuelle bildeten auch auf Funktionärsebene eine seltene Randerscheinung. Begrifflich änderte sich 1919 der Organisationsname zugunsten des Elements „Union“, womit den seit Anfang des 20. Jahrhunderts veränderten Produktionsprozessen Rechnung getragen wurde. Die Mitglieder sollten nicht mehr nur nach speziellen Berufsgruppen organisiert, sondern möglichst nach Industriebereichen zusammengefasst werden, um ihre Schlagkraft am Ort zu erhöhen. Zudem änderte sich im Jahre 1921 per Kongressbeschluss die offizielle Bezeichnung „FAUD (Syndikalisten)“ in das bis 1933 gültige „FAUD (Anarcho-Syndikalisten)“, womit das kommunistisch-anarchistische Fundament verdeutlicht wurde. Dennoch wurden die Begriffe „Syndikalismus“ und „Anarcho-Syndikalismus“ in Deutschland sowohl von Zeitgenossen als auch in der Forschung auch synonym verwendet, da sich außerhalb des Anarcho-Syndikalismus keine rein syndikalistische Organisation definieren konnte. Nahestehende Zusammenschlüsse, wie beispielsweise die „Arbeiter-Unionen“ oder die „Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands“ und der Syndikalistische Frauenbund, orientierten sich rein unionistisch oder anarchistisch. Die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA) Der Syndikalismus in Deutschland, wenngleich zahlenmäßig nicht größer als etwa 150.000 im Jahre 1922, hatte bedeutenden theoretischen und organisatorischen Einfluss auf die internationale syndikalistische Arbeiterbewegung. Im gleichen Jahr wurde in Berlin in Bezugnahme zur „Ersten Internationale“ von 1864 die „Internationale Arbeiter-Assoziation“ (heute Internationale ArbeiterInnen-Assoziation) nach anarchosyndikalistischen Vorstellungen neu gegründet. Rudolf Rocker verfasste die Prinzipienerklärung und stellte zusammen mit Augustin Souchy und Alexander Schapiro bis 1933 das Sekretariat in Berlin. Die IAA vereinigte zeitweilig bis zu zwei Millionen Mitglieder. Ihre stärksten Sektionen hat sie in Europa und Südamerika. Die IAA vertritt den Standpunkt, dass der Begriff „Syndikalismus“ alleine nicht genüge. Syndikalismus: Zum Gebrauch des Begriffs Tatsächlich versuchten autoritär-kommunistische und faschistische Kräfte vor allem in Frankreich, Italien und später auch in Spanien den Begriff für ihre Ziele in Anspruch zu nehmen. Gegenüber manch solcher zentralistischer und nationalistischer Abart mit Bezug auf Georges Sorel muss betont werden, dass sich die internationale syndikalistische Arbeiterbewegung bewusst an den Ideen und Methoden des Anarcho-Syndikalismus orientierte, wie er sich auch in Deutschland formierte. Entgegen mancher Auffassung spielte Georges Sorel für die syndikalistische Arbeiterbewegung in Deutschland keine und in vielen anderen Ländern, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. In Italien hingegen übte Sorel einen großen Einfluss aus. Benito Mussolini bekannte sich offen zu Sorel und erklärte, dass er von Sorel stark geprägt worden sei.[2] Was die Konkretisierung des Begriffs „Syndikalismus“ dennoch gerade im internationalen Zusammenhang notwendig macht, ist die einfache Tatsache, dass der Begriff von Land zu Land eine andere Bedeutung hat. Er stammt aus dem Französischen von „syndicat“ und bezeichnet in den romanischsprachigen Ländern zunächst einmal lediglich einen weitgehend unbestimmten Gewerkschaftsbegriff. Zur Unterscheidung von sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften wird auch der wenig geeignete, weil inhaltlich nur mäßig bestimmte und ungenaue Begriff „revolutionärer Syndikalismus“ verwendet. Siehe auch Christiaan Cornelissen, Clara Wichmann, Helmut Rüdiger Teresa Claramunt, Salvador Seguí, Ángel Pestaña, Juan Peiró, Diego Abad de Santillán, Luís Andrés Edo Gildensozialismus Literatur Gerhard Aigte: Die Entwicklung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung Deutschlands in der Kriegs- und Nachkriegszeit (1918–1929) (= Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union Bremen. Streitschrift 1, ZDB-ID 2227240-9). FAU-Bremen, Bremen 2005. Franz Barwich/Studienkommission der Berliner Arbeiterbörsen (1923): „Das ist Syndikalismus“. Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus. Verlag Edition AV, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-936049-38-6. Helge Döhring: Anarcho-Syndikalismus. Einführung in die Theorie und Geschichte einer internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung. Verlag Edition AV, Lich/Hessen 2017, ISBN 978-3-86841-143-0. Helge Döhring: Syndikalismus in Deutschland 1914-1918. "Im Herzen der Bestie" Verlag Edition AV, Lich/Hessen 2013, ISBN 978-3-868410-83-9. Helge Döhring: Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933-1945. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 3-89657-062-5. FAU-Bremen (Hrsg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven (= Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union. FAU Bremen 4, ZDB-ID 2227240-9). Hauptband. FAU Bremen, Bremen 2005. FAU-Bremen (Hrsg.): Klassenkampf im Weltmaßstab (= Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union. FAU Bremen 8). Ergänzungsband. FAU Bremen, Bremen 2006. Georg Fülberth: G-Strich. Kleine Geschichte des Kapitalismus. PapyRossa-Verlag, Köln 2005, ISBN 3-89438-315-1. Luigi Ganapini: Revolutionärer und faschistischer Syndikalismus in Italien (1920–1945). In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung Heft I/2007, ISSN 1610-093X, S. 72–77. Bob Holton: British Syndicalism 1900–1914. Myths and Reality. Pluto Press, London 1976, ISBN 0-904383-22-9. Rudolf Rocker: Prinzipienerklärung des Syndikalismus. Kater, Berlin 1920. Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands; eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. Libertad Verlag, Berlin und Köln 1994 ISBN 3-922226-21-3. Peter Schöttler: Die Entstehung der „Bourses du Travail“. Sozialpolitik und französischer Syndikalismus am Ende des 19. Jahrhunderts (= Campus Forschung 255). Campus Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1982, ISBN 3-593-33045-8 (Zugleich: Bremen, Univ., Diss., 1978). Georges Yvetot: ABC des Syndikalismus. Verlag der Revolution, Wien 1908. Arturo Zoffmann Rodriguez: "Marxistisch und proudhonistisch zugleich": Die Kommunisten-Syndikalisten der Spanischen CND 1917-1924, in: Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft 2017/III, S. 74–96. Clara Wichmann: Die Theorie des Syndikalismus (1920). In: Clara Wichmann: Vom revolutionären Elan. Beiträge zu Emanzipationsbewegungen 1917-1922. Hrsg. von Renate Brucker, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2018, S. 122–148, ISBN 978-3-939045-36-6.

  • Condition: gebraucht, aber gut, siehe Fotos und Artikelbeschreibung
  • Autor: Wladimir Iljitsch Lenin
  • Einband: Softcover
  • Thema: Kommunismus
  • Erscheinungsort: Reinbek bei Hamburg
  • Region: Europa
  • Seiten: 250
  • Buchtitel: Für und wider die Bürokratie
  • Untertitel: Schriften und Briefe 1917 - 1923
  • Reihe: Texte des Sozialismus und Anarchismus
  • Verlag: rororo
  • Original/Faksimile: Original
  • Erscheinungsjahr: 1970
  • Genre: Studium & Wissen
  • Sprache: Deutsch

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